Seide [1]

Seide [1]

Seide, der Stoff, welcher von den Cocons, den äußern Hüllen der eingepuppten Raupen des Seidenspinners (Phalaena bombyx mori, Endromys mori, Art aus der Gattung Spinner, der weißlich ist, mit einigen dunkeln Querstrichen u. einem halbmondförmigen dunklern Fleck auf den Flügeln u. aus China stammt, aber durch die Seidenzucht sehr weit verbreitet ist), gewonnen wird. Diese Raupe (Seidenwurm, Seidenraupe) ist Anfangs schwärzlich, nach der ersten Häutung hellgrau, mit schwarzem, später mit braunem Kopf, vor dem Einspinnen der Hinterleib gelb, das Übrige weiß, oben hat sie 2 braune Flecken, hinten ein Horn, vorn einen Wulst u., wie alle Raupen der Spinner, ein Bündel Gefäße im Rücken, in welchen sich gegen die Zeit des Einspinnens ein klebriger, harziger Saft sammelt, welcher sich an der Luft augenblicklich verdichtet. Diese Gefäße endigen mit 2 Öffnungen im Munde, aus welchen die Raupe zwei 7–1200, ja 2000 Fuß lange Fäden aus sich herausspinnt, indem sie den Saft Anfangs an einem festen Gegenstande anklebt u. zugleich mit den Vorderfüßen diese beiden Fäden in einen einzigen verwandelt. Man unterscheidet verschiedene Seidenraupenracen, welche theils gelbe, theils weiße Seide spinnen: a) die Centurini Race, häutet sich nur 3 Mal, spinnt gelbe S., ist in Italien einheimisch; b) die Sina Race, aus China stammend, die vorzüglichste, liefert glänzend weiße, feine S.; c) die Kornthaler Race, zeichnet sich durch sehr reichliche Production von weißer u. gelber[775] S. aus, welche aber gröber u. nicht so rein u. glänzend ist, als die der Sina Race; d) die Mailänder Race, liefert sehr feste u. feine S.; e) die Persische Race, weniger fein aber reicher an S. als die Mailänder Race, unempfindlich gegen niedrigen Temperaturgrad u. mangelhaftes Futter. f) Eine Kreuzung der Mailänder u. Persischen Race lieferte sehr günstige Resultate; die Mailänder Weibchen mit persischen Männchen gepaart produciren ungewöhnlich große u. schwere Cocons mit Mailänder S., während die persischen Weibchen mit Mailänder Männchen geparrt kleinere, doch etwas verfeinerte persische Cocons geben. g) Eine Kreuzung der Sina Race mit der Syrie- u. Norirace, ist keinen Krankheiten unterworfen, ihre Cocons liefern fast keine Flockseide, sondern eine in ihrer ganzen Länge gleiche, viel Nerv u. Glanz besitzende S. h) Die Lyoneser u. i) die Cevennen Race stehen sowohl an Festigkeit als Feinheit der S.u. in Menge derselben der Mailänder Race nach; k) die Bengalische Race ist von sehr geringem Werth; l) die Chinesische Race liefert vorzüglich schöne weiße S., ist der Sterblichkeit nicht mehr unterworfen, als die italienischen u. französischen Racen, robuster, spinnt einen stärkeren Faden, spinnt sich früher ein, u. die weiße Farbe der S. ist unveränderlich u. nimmt bei der künstlichen Färbung lebhaftere Farben an; m) die Tatarische Race soll ohne Pflege leben, das Laub fast aller Baumarten fressen, sich auf den Bäumen einspinnen u. sehr feine S. liefern; n) die Race von Louisiana, nährt sich von Pflanzenblättern u. liefert einen großen schweren Cocon, aber grobe S.; o) die Race aus der Mandschurei, nährt sich von den Blättern der Eiche; p) die Holer-Poca-Race, auf der Halbinsel von Indien u. in den Hochebenen Chinas im Freien auf einer Art von Brustbeerenbaum lebend, das Gespinnst ist etwas grob u. grau; q) die Riesenseidenraupe, bewohnt die Gestade des Rio-Doce in Brasilien, nährt sich von dem Wunderbaum, ist größer als die italienischen Racen, wickelt um ihre Cocons Baumblätter, u. die Puppe bleibt bis zu der Zeit, wo sie ausbricht, in ihrer Hülse eingeschlossen u. legt dann ihre Eier, welche sogleich ausgebrütet werden; die S. ist von etwas brauner Farbe u. grob; die Cocons haben 4 flache Seiten; r) die Bronsky'sche Race, durch fortwährendes Kreuzen chinesischer Raupen mit chinesischen u. norischen entstanden, acclimatisirt sich gut, ist sehr kräftig u. liefert ein in Quantität u. Qualität sich immer gleich bleibendes Product; s) die Tusseh-, Ariandy-, Muza-, Dschori u. Dakka-Race, sämmtlich in Indien einheimisch, leben im Freien, nähren sich von dem Pipul- u. Moogobaume u. liefern eine etwas graue, aber haltbare S. in zufriedenstellender Menge. t) Die ebenfalls ostindischen Racen: Moogar Sile, Moongalata, Arrehalala. Die Cocons sind grau, die Seidenfäden ungleich u. nicht überall rund, fühlen sich aber weich an u. haben einen angenehmen Lustre. Die Cocons von Moonga lata lassen sich schwer abhaspeln. u) Die Saturnia-Arten, als S. mimosae, in Port Natal, lebt auf Mimosaarten u. gibt eine weiße kräftige S.; S. polyphamos, in Nordamerika auf Trauerweiden, Eichen, Linden, Apfelbäumen, gibt sehr viel glänzende, fast weiße S.; S. aurata, in Brasilien, mit lockerm, offenem Gespinnst, auf Maniok u. Ricinus lebend, gibt sehr reichhaltige Cocons von fast weißer Farbe; S. atlas, in China, Cocon von leinengrauer Farbe u. dicke Seide; S. aethra, in Brasilien; S. ceanothi, in Californien, lebt auf der Ceanothusstande. v) Die Aylanthrace, in China, lebt von den Blättern des Götterbaumes, liefert sehr feste Seide von schöner grauer Farbe; w) die Eucalyptusrace, in Australien, 2–3 Zoll lang, haarig, liefert harte, dunkelfarbige Cocons; x) die Mursayspinne, in Australien, silbergrau, mit dünnem, rundem Körper, auf der Mursaystaude lebend, liefert starkes, glänzendes Gespinnst; y) Chiosayos Giorgios, in Griechenland, liefert viel u. schöne S.; z) Bombyx Pernyi, im nördlichen China, auf der immergrünen Eiche lebend; Bombyx mylitta, in Bengalen, spinnt sehr große Cocons mit starker S.; Bombyx cynthia, in Indien, lebt auf der Ricinusstaude, liefert sehr feste S., auch in Deutschland in neuester Zeit acclimatisirt.

Der Seidenbau (Seidenzucht, fr. Magnanière) macht, weil er in die Zeit zwischen Aussaat u. Ernte fällt, also da, wo die Landleute am wenigsten zu thun haben, u. nur 40–50 Tage Aufmerksamkeit erfordert, wohl auch großentheils durch 10–12 Jahre alte Kinder zu betreiben ist, wenig Mühe u. gibt doch reichen Lohn. Zu seiner Verbreitung wurden in neuester Zeit von Regierungen, Vereinen u. Privaten verschiedene Maßregeln getroffen, bestehend in Gründung besonderer Seidenbauvereine, die theils durch unentgeltliche Überlassung, theils um sehr wohlfeilen Preis Maulbeersamen, Pflänzlinge, Grains, populäre Schriften über Maulbeerbaum- u. Seidenzucht diesem Industriezweig Vorschub leisten; in Aussetzung von Preisen, um zur Maulbeerbaum- u. Seidenzucht anzuregen; in der Gründung von Coconmärkten, um die gewonnenen Cocons leicht verwerthen zu können. Es bedarf aber zu Betreibung des Seidenbaues zunächst der Gewinnung des Futters für die Seidenraupen, der Maulbeerblätter, u. deshalb der Erziehung des hochstämmigen weißen Maulbeerbaumes u. kurz gehaltener Maulbeerplantagen in Busch- od. Heckenform, welche schon binnen 5 Jahren Blätter liefern. Von den verschiedenen Varietäten des Maulbeerbaumes füttert Morus multicaulis am besten, dann folgen M. alba, M. alata u. M. morettiana. Surrogate des Maulbeerbaumes sind die Blätter der Scorzonere, der Klette, der Ulme, des Ahorns, des Glaskrauts, der weißen Himbeere, des Leindotters, Reißmehl, die Blätter von Polygonum centinodis; Maulbeerblätterpulver, bereitet aus im Herbst vor dem Gelbwerden zerriebenen Maulbeerblättern; den daraus entstehenden Teig läßt man trocknen u. bewahrt ihn in luftdicht verschlossenen Gefäßen. Dieses Pulver wird den jungen Raupen entweder unvermischt od. mit Mehl von geschälten Erbsen od. Reis gegeben. Die Scorzonerenblätter taucht man in eine Flüssigkeit aus Wasser, gepulvertem Zucker, gepulvertem Gummi u. Extract aus Maulbeerstängeln, legt die Blätter auf Netze od. Hürden u. verfüttert sie am nächsten Tage. Alle diese Surrogate sind aber nur in äußerster Noth anzuwenden u. geben bei Weitem weniger u. schlechtere S., wenn die Seidenwürmer nicht gar sterben; doch kann man ganz jungen Würmern bis zur ersten Häutung Salatblätter geben, nur bekommen sie leicht den Durchfall darnach. Man füttert nur trockene Blätter u. trocknet die nassen, welche man bei anhaltendem Regen pflückt zwischen trockenen Tüchern od. dadurch, daß man sie[776] auf dem Boden ausbreitet; die zu kalten werden erwärmt. Gelb werdende Blätter darf man nie füttern. Versuche, durch färbende Substanzen, welche man dem Futter beimischt, auf den Farbeton einzuwirken, sind gelungen. So hat man, wenn die Raupen in die vierte Lebensperiode eingetreten waren, gepulverten Indigo od. Krappwurzel auf das Futter gestreut u. von jenem dunkelgrünlichblaue, von diesem blaßrosarothe Cocons erhalten.

Zum Seidenbau bedarf es eines Zimmers zum Verwahren der Zuchtcocons, eines Brütezimmers, 2 Seidenbauzimmer, eines kleineren u. eines größeren, u. eines Einspinnzimmers, doch kann man dazu auch das größere Seidenbauzimmer benutzen. In den Seidenbauzimmern sind hölzerne Stellagen 3–6fach über einander an den Wänden herum, in größern Zimmern auch in der Mitte derselben angebracht; jede Abtheilung ist mit einer aus Weidenruthen od. Rohr geflochtenen u. in einen Rahmen gespannten Hürde od. mit Strohmatten überdeckt. Andere nehmen zu diesen Hürden Rahmen mit Bindfadennetzen u. mit Papier belegt. Die Brütezimmer müssen mit guten Thüren, Läden, Fenstern u. Vorhängen versehen sein, um sie lüften u. schließen, licht od. dunkel machen zu können. Die Ventilation des Raupenlocals ist eine Grundbedingung für das Gedeihen der Zucht. Um eine gute Ventilation zu ermöglichen, muß sich der stete Luftwechsel auch auf die Lagerstelle der Raupen erstrecken, ohne daß aber die Maulbeerblätter austrocknen. Der Luftwechsel muß ohne grellen Temperaturwechsel geschehen, die Temperatur muß in allen Theilen des Locals möglichst gleichmäßig sein, u. man darf keine Gerüche wahrnehmen, als die der Maulbeerblätter. Zum Zweck der Lüftung sind außer Thüren u. Fenster auch Luftlöcher, bes. nach oben, anzubringen u. ein Kamin des stets zu erhaltenden Luftzugs wegen u. um Flackerfeuer anzünden zu können. Auch dient wohl die Fegemühle (Tarare), eine hölzerne Pyramide von 5 Fuß Höhe, in deren Innerm eine Welle mit breiten Flügeln sich befindet, bei deren Umdrehung die Luft durch eine, oben an der Öffnung der Pyramide befindliche Röhre in das Kamin geleitet wird, dazu, die verdorbene Luft im Seidenbauzimmer schnell zu entfernen. Bouvie's Ventilation gründet sich auf Luftheizung u. Luftheizekamine u. ist außerhalb der Raupenlocale angebracht. Ein Ofen ist ebenfalls unerläßlich u. mehre Thermometer in u. vor den Seidenbauzimmern, um den Seidenwürmern die ihnen in jeder Lebensperiode angemessene Wärme zukommen lassen zu können. Eine zu hohe Temperatur ist weit schädlicher, als etwas kühlere, u. letztere hält nur die Zeit des Einspinnens um einige Tage auf. Torf, Braunkohlen u. Eichenholz dürfen nicht gefeuert werden. Statt der Öfen in den Zimmern hat man in Frankreich heizbare Keller, aus denen Röhren, welche man öffnen u. schließen kann, die erwärmte Luft in das Zimmer führen; dabei steht das Seidenbauzimmer mit einem andern, kältern, daneben befindlichen in Verbindung, aus welchem, im Fall eine zu hohe Temperatur der äußern Luft den Zutritt kälterer Luft erfordert, diese dem Seidenbauzimmer durch eine Röhre zugeführt werden kann. Die Maulbeerblätter, welche beim Regenwetter eingebracht worden sind, werden zugleich in diesem Raume schnell getrocknet od., zu kalt, erwärmt. Diese Anstalten heißen Magnanières salubres. In den Seidenbauzimmern muß stets reine, trockne Luft erhalten werden. Sobald der Feuchtigkeitsmesser mehr als 65° anzeigt, muß man die Luft durch helles Kaminfeuer verbessern u. die Fenster od. Luken öffnen; dagegen werden, wenn der Feuchtigkeitsmesser nur 20–30° zeigt, Gefäße mit Wasser in das Zimmer gebracht. Mäßiger Rauch, selbst Tabaksrauch, schadet den Seidenwürmern nichts, dagegen können stark duftende Blumen ihnen wohl nachtheilig sein; unter dem Zimmer darf sich kein Stall, in der Nähe keine Technische Anstalt befinden. Die Luft durch Chloringas u. andere künstliche Räucherungen zu verbessern ist schädlich, doch ist Chlorkalk, dünn auf Platten gebreitet, ein gutes Mittel gegen epidemische Krankheiten der Seidenwürmer. Starkes Licht, bes. Blitz, sollen den Seidenraupen nicht schaden.

Die erste Sorge ist nun das Gewinnen guter Eier (Grains). Man wählt nämlich unter den Cocons diejenigen zu Samencocons aus, welche an beiden Enden am festesten sind u. die feinsten Gespinnste von reiner weißer od. gelber Farbe haben, befreit sie von dem Gespinnst u. trennt weibliche u. männliche. Die weiblichen Cocons sind gewöhnlich etwas größer u. in der Mitte mehr gerundet, die männlichen haben in der Mitte eine stärkere Vertiefung; von beiden nimmt man gleich viel. Die im nördlichen Deutschland gewöhnlichen Arten spinnen gelbe u. weißliche Cocons. In Frankreich hat man sich Eier unmittelbar von China kommen lassen, deren Cocons glänzend weiße S. geben. Man kann auch mit Erfolg die Seidenraupen durch Kreuzung veredeln (s. oben). Die weiblichen Cocons trennt man von den männlichen, die auserwählten legt man auf besondere Hürden in 3 Finger breite Lagen u. bringt sie in ein Zimmer, welches 50–80° Wärme hat. In dem Zimmer, wo die Schmetterlinge auskriechen u. sich begatten sollen, muß Dämmerung herrschen. Eine neue Methode die Grains aufzubewahren ist folgende: Man bestimmt genau das Gewicht von Leinwand u. läßt dann die Schmetterlinge ihre Eier darauf legen. Sowie die Leinwand mit Eiern gut besetzt ist, schwemmt man alle Unreinigkeiten mit Wasser ab, welches einige Zeit an der Luft gestanden hat, trocknet die Eier im Schatten u. bestimmt das Gewicht des Ganzen aufs Neue. Die Gewichtszunahme zeigt die Menge der Eier an, wenn man 20,000 auf ein Loth rechnet. Die Eier läßt man auf der Leinwand u. bewahrt sie an einem lustigen Orte über Winter auf. Während des Winters setzt man sie einige Male dem Regen u. Wind aus. Gegen das Frühjahr, ehe die Maulbeerbäume zu treiben beginnen, bringt man die Eier in luftdicht verschlossenen Blechkapseln in einen kalten Keller u. bewahrt sie bis zur Brut auf. Nach neueren Erfahrungen kann man die Eier an einem kühlen Orte 2 Jahre ohne Nachtheile aufbewahren. Das Auskriechen erfolgt nach 2–3 Wochen, je nach der Temperatur. Zuvor erscheint ein ätzender Saft am Ende des Cocons, der denselben durchbeizt, der Schmetterling hilft dann mit den Hinterfüßen nach. Sobald sich ein Männchen mit einem Weibchen begattet hat, was man an einer zitternden Bewegung der Flügel des Männchens erkennt, faßt man beide behutsam bei den Flügeln an u. setzt sie auf einen besonderen Rahmen, welchen man, wenn er vollständig mit Schmetterlingen besetzt ist, in ein geräumiges, lustiges, finsteres Zimmer bringt. Die Schmetterlinge sollen nicht länger als 6 Stunden beisammen bleiben; Andere[777] dulden dies, bis sie nach 24 Stunden von einander fallen. Bleiben Schmetterlinge von dem einen Geschlecht übrig, so verwahrt man sie in einer durchlöcherten Schachtel, bis wieder neue Schmetterlinge auskriechen. Nun stirbt das Männchen in einigen Tagen, das Weibchen legt aber nach einigen Stunden Eier u. setzt dies binnen einigen Tagen bis auf 5–600 Stück fort. Hierauf stirbt es auch, doch hat man Fälle gehabt, wo es noch 20 Tage lebte. Der Schmetterling nimmt durchaus keine Nahrung zu sich, spritzt aber gelbliche od. röthliche Flüssigkeiten aus. Ehe man die Pärchen trennt, muß man in einem trocknen, lustigen Zimmer Stücken wollenen Zeugs in Bereitschaft halten. Man bringt sie, mit befruchteten Weibchen besetzt, auf einem Gestell so an, daß sie in senkrechter Stellung ausgespannt sind, worauf das Weibchen die Eier in sie einlegt. Haben die Eier eine aschgraue Farbe angenommen, so nimmt man diese Stücken Wollenzeug vom Gestell, legt sie in Streifen von 9 Zoll Breite 8fach zusammen u. bringt sie an einen kühlen, trocknen, nicht über 15° warmen Ort. Röthliche u. glanzlose Eier sind unbrauchbar. Kaum dürfen sie mit dem Nagel sich zerdrücken lassen, dabei aber müssen sie stark knacken u. im Innern eine Feuchtigkeit zeigen, die nicht fließt u. nicht durchscheinend ist. Um die Seidenraupeneier auf ihre Güte zu probiren, taucht man sie in eine Salzlösung von 5° B.; alle Eier, welche obenauf schwimmen, werden als untauglich entfernt, die unter der Flüssigkeit gebliebenen bringt man in eine Salzlösung von 100° B., entfernt wieder die obenauf schwimmenden u. bringt die unter der Flüssigkeit gebliebenen in eine Salzlösung von 11° B.; die Eier, welche darin obenauf schwimmen, sind die guten, zum Ausbrüten tauglichen. Das Auskriechen der Seidenwürmer aus den Eiern muß mit dem Zeitpunkte zusammentreffen, wo die jungen Blätter des Maulbeerbaums hervorkommen. Die Eier (welche in dem Folgenden stets zu 1 Loth berechnet sind) legt man in kleine, mit schwarzem Papier ausgeklebte Pappenkästen u. setzt sie auf mit Papier beklebte Rahmen so, daß zwischen den einzelnen Kästchen einige Zoll Raum bleibt, am besten hinter Glasfenstern, der Sonne aus. Die Wärme des Brütezimmers muß 10–14 Tage lang auf einem Temperaturgrade von 15–25° R. allmälig steigend u. nun fallend gehalten werden. Die Eier muß man täglich 1–2mal umrühren. Etwa den 8.–10. Tag legt man in die Kästchen über die Eier ein durchlöchertes, geleimtes Papier, etwas größer als das Kästchen, u. auf dies Papier bringt man junge Maulbeerzweige mit 3–4 Blättern. Von 1 Loth Eier erhält man meist 45 Pfund Cocons. Das Auskriechen erfolgt in der Regel in 8–12, bei kälterer Temperatur in 14 Tagen. Bei kleinen Quantitäten hat es sich am vortheilhaftesten erwiesen, wenn man die Eier in ein leinenes Säckchen bringt, welches eine Frauensperson im Busen trägt od. während der Nacht unter das Kopfkissen legt. Nach 4 Tagen fangen sie an auszukriechen u. werden dann in einem Sieb in ein warmes Zimmer gebracht. Eine andere Brütemethode ist die mittelst einer besonderen von Rueff in Hohenheim angegebenen Brütemaschine, welche den Vortheil hat, daß sie ein gleichzeitiges Auskriechen der Raupen bewirkt, weshalb auch eine gleichmäßige Zucht stattfinden kann. In dem Brüteapparat von Kramer können 51/2 –6 Pfund Seidenraupeneier mit dem besten Erfolg binnen 10–14 Tagen ausgebrütet werden. Die ausgekrochenen Würmer numerirt man nach dem Tag des Auskriechens, um sie beim Häuten später desto besser abwarten u. zu rechter Zeit versetzen zu können u. nicht zu viel zu verschiedenen Zeiten sich häutende zu bekommen. Wenn fast alle Seidenwürmer ausgekrochen sind, setzt man die Kästchen auf ein Bret u. bringt sie in das kleinere Seidenbauzimmer. Hier ergreift man die mit Würmern bedeckten Maulbeerzweige vorsichtig mit einer Zange, legt die Zweige in gehöriger Entfernung auf die Hürden u. breitet auf die Zwischenräume kleine ganze u. klein geschnittene Maulbeerblätter. Wenn sich die Seidenwürmer auf einer Stelle zu sehr anhäufen, legt man dahin Maulbeerblätter, auf welche sich sogleich mehre Würmer begeben werden; diese Blätter bringt man dann auf eine Stelle, wo weniger Würmer sind.

Man unterscheidet bei der Seidenzucht mehre Lebensperioden der Seidenwürmer. Erste Periode. Die Seidenwürmer aus 1 Loth Eier erhalten am ersten Tage in 6 Mahlzeiten 14 Loth ganz klein geschnittene Blätter. Nach jeder Fütterung erweitert man die Räume, wo sich die Würmer befinden, indem man die mit geschnittenen Blättern bedeckte Fläche etwas ausdehnt. Dieses Erweitern der Räume (Ausfüttern) muß auch in den folgenden Tagen jeder Periode geschehen. Man setzt nun täglich Futter zu, bricht aber am vierten Tage wieder etwas ab. Gegen Ende des vierten Tages verfallen die Würmer in Erstarrung u. fressen nicht mehr. Am fünften Tage gibt man nur 6 Loth sehr klein geschnittene Blätter u. vertheilt sie dahin, wo man noch Würmer fressen sieht. Am Ende dieses Tages sind alle Würmer erstarrt u. vollbringen ihre erste Häutung, wobei sie nicht im Geringsten gestört werden dürfen. Die Würmer von 1 Loth Eiern nehmen hierbei gegen 5 QF. Fläche ein. Eine durch Heizung der Öfen hervorgebrachte Wärme von 18–20° ist um diese Zeit am besten u. in allen Perioden die sorgfältigste Luftreinigung durch Öffnen der Thüren u. Fenster, wobei die jedesmal vorgeschriebene Temperatur erhalten wird, zu beobachten. In der zweiten Periode nehmen 1 Loth Eier einen Flächenraum von 91/2 QF. ein. Wärme 18–19°. Wenn die Seidenwürmer allmälig erwacht sind, nimmt man sie vom Lager, gibt ihnen am 1. Tage 1 Pfund 4 Loth zarte Maulbeerreiser in 4 Mahlzeiten u. eben so viel fein geschnittene Blätter u. versetzt sie dann, um ihre Lagerstätten zu reinigen, indem man Netze von Bindfaden u. auf diesen kleine zarte Maulbeerreiser od. auch diese allein über die Würmer breitet; die Würmer kriechen auf die Blätter u. werden streifenweise auf den Flatschen (Abtheilungen des Futtergerüstes, worauf die Würmer zum Häuten ausgebreitet werden) geordnet. Die hierbei, sowie später nicht wieder erwachten Seidenwürmer wirst man weg, da nichts aus ihnen wird. Am 2. u. 3. Tage braucht man je 31/2 Pfd. fein geschnittene Blätter in 5 Mahlzeiten u. am 4. Tage weniger, etwa 1 Pfd. 4 Loth; an diesem Tage schlafen die Würmer wieder ein, häuten sich zum 2. Male u. erwachen den andern Tag wieder. Dritte Periode. Die Würmer mit den Zweigen bekommen einen Flächenraum von 23 QF. eingeräumt; Temperatur 17–18°. Am 1. Tage braucht man 13/4 Pfd. kleine Reiser u. eben so viel Blätter, am 2. 103/4 Pfd. Blätter in 5 Mahlzeiten, am 3. etwas mehr, am 4. 61/4 Pfd., am 5. nur 31/4 Pfd.;[778] die Würmer schlafen ein, häuten sich zum 3. Male, erwachen am 6. zum Theil wieder u. werden nun in das größere Seidenbauzimmer versetzt. Vierte Periode. Zu Anfang derselben, wenn alle Seidenwürmer erwacht sind, reinigt man die Lagerstätten auf die beschriebene Weise. Die Würmer bekommen einen Raum von 55 QF. eingeräumt; Temperatur 16–17°. Am 1. Tage braucht man 41/2 Pfd. kleine Reiser u. 7 Pfd. grob geschnittene Blätter, am 2. 191/2 Pfd. Blätter in 4 Mahlzeiten, am 3. 261/4 Pfd., am 4. 291/3 Pfd. ungeschnittene Blätter in 5 Mahlzeiten, am 5. 143/4 Pfd., am 6. 3 Pfd. 12 Loth; die Würmer schlafen ein, häuten sich zum 4. Male u. erwachen am 7. Tage. Täglich wird die Luft u. auch die Hürden werden gereinigt. Fünfte Periode. Temperatur des Zimmers 16°. Die Würmer erhalten einen Flächenraum von 120 QF., am 1. Tage 10 Pfd. kleine Reiser u. eben so viel Blätter von den ältesten u. stärksten Bäumen in 4 Mahlzeiten, am 2. 33 Pfd. Blätter in 5 Mahlzeiten, am 3. 47 Pfd., am 4. 65 Pfd., am 5. 93 Pfd., am 6. 1111/2 Pfd., am 7. 107 Pfd., am 8. 75 Pfd. In den letzten Tagen muß man vor dem Schlafengehen u. früh beim Aufstehen füttern; die Hürden müssen gereinigt werden. Am 9. Tage braucht man 60 Pfd. Blätter; des Nachts muß ein kleines Feuer angemacht u. die Luftlöcher geöffnet werden. Am 10. Tage braucht man 28 Pfd. Blätter. Der jedesmalige Wechsel der Unterlage geschieht mit durchlöchertem Papier, noch besser sind Beauvai's Netze zur Absonderung der Raupen. Die Maulbeerblätter vertheilt man zweckmäßig mit Damons Blattsieb. Am 10. od. 11. Tage erlangen die Seidenwürmer ihre völlige Spinnreife; Zeichen derselben sind: die Würmer verschmähen alles Futter u. kriechen auf den Hürden umher; ihr Körper ist weich u. halbdurchsichtig, die Ringe ziehen sich zusammen, die Haut am Hals wird sehr runzlig, aus den Spinnwerkzeugen treten die Seidenfäden vor. Zu dieser Zeit müssen die Spinnhütten eingerichtet werden, welche man aus Birkenreisern od. Rapsstroh auf hölzernen Gestellen, welche dicht an der Wand eines eigenen, od. im zweiten zuvor gereinigten Seidenbauzimmer angebracht sind, weder zu dicht, noch zu locker u. so errichtet, daß man die Spitzen des Materials lagenförmig in einander flicht u. den Zwischenraum in der Höhe auf 12/3–2 Fuß berechnet. In den Boden einer jeden Hütte paßt man Pappdeckel, worauf die Würmer auf zarten Reisern von den Hürden gebracht u. in die Spinnhütten eingeschoben werden. Um den Würmern das Aufklettern nach dem Innern der Zellen zu erleichtern, bringt man in den Hütten einige Holzstäbchen an; um aber zu verhindern, daß die Würmer oben aus den Spinnhütten herauskriechen, verklebt man diese von oben herab 5–6 Zoll weit mit Papier. Eine andere Vorrichtung ist die von Netz angewendete; man läßt Latten von 1 Zoll Dicke u. von der Länge der Hürdenbreite einschließlich des Rahmens sägen u. an der Seite der Latte ziemlich nahe an einander kleine halbrunde Einschnitte machen, dann werden Reiser von der Länge des Raumes zwischen dem Boden der Hürde u. der unteren Fläche des aufzuhängenden Garns geschnitten u. diese Reiser mit Drahtstiften so in die Einschnitte der Latten genagelt, daß sie etwa 1 Zoll breit von dem Boden der unteren Hürde abstehen, wenn die Latte auf den Rahmen derselben aufgelegt wird. Hierdurch wird bezweckt, daß beim Aufstellen der Latten die Raupen nicht beunruhigt werden, u. die Spitzen der Reiser die untere Fläche des aufgehängten Garns stützen u. es um 1 Zoll in die Höhe heben. Bei dieser Vorrichtung geht weniger S. verloren, die Cocons können leicht abgenommen werden, die Raupen versperren sich gegenseitig den Platz nicht, fallen nicht herab u. die Ernte wird in sehr kurzer Zeit beendigt. Auch die Davril'schen Spinn- u. Lagerhürden sind sehr zu empfehlen. Dasselbe gilt von den sogenannten Cavaloni's; man legt eine Latte auf Holzunterlage 4 Zoll hoch, auf die Latte Anfangs etwas über 1 Spanne hoch kleine Maulbeerzweige zu beiden Seiten u. auf diese größere Maulbeerzweige nach Art eines Bogens, so daß sich eine Art Dach bildet. Sobald sich die Raupen zum Einspinnen anschicken, errichtet man den sogenannten Wald, indem man in die Mitte über die Cavaloni's 1 Fuß breite u. 4 Zoll hohe Bündel von Weinreben, Weiden od. Eichenzweigen legt u. in dieselben aufrecht Zweige von starkem Rapsstroh 2 Zoll hoch ziemlich dicht steckt. Die schwachen, sich erst spät einspinnenden Würmer trennt man von den übrigen, indem man sie auf kleine, mit feinen Hobelspänen ausgefüllte Sträucher bringt, welche die Stelle der Spinnhütten vertreten. Würmer, welche bes. nach der letzten Häutung durch Temperatur od. Futtermangel gelitten haben, machen keine guten, sondern längliche, löchrige Cocons, Tuten u. überhaupt viel Wattseide, u. heißen auch Kurzspinner, bes. wenn sie nicht an dem Reisholze emporkriechen, sondern sich auf dem Fußboden einspinnen. Einspinnen: Anfangs spinnt die Raupe den Faden in unordentlicher Richtung u. hängt ihn an mehren Orten auf, damit das Gespinst gleichsam ein Gerüst bilde, in welchem der eigentliche Cocon hängt. Dieses erste Gespinnst (Wattseide) wird nur zur Floretseide (s. unten) benutzt. Den 2. u. die folgenden Tage spinnt die Raupe einen Faden von 600–1200 Fuß um sich herum, so daß eine regelmäßige runde Hülle, der eigentliche Cocon, od. wenn sich zwei zusammen in eine Hülle einspinnen, Doppione, entstehen, dessen Faden, später künstlich abgehaspelt, die nutzbare S. liefert. Zuletzt spinnt die Raupe noch von ihrem Safte im Innern des Cocons eine filzige, häutige Hülle (Dattel, Coconshaut), welche auch zu Floretseide benutzt wird; in ihr erfolgt die letzte Häutung der Raupe u. sie wird zur Puppe. Nach 4–7 Tagen ist das Einspinnen vollendet, man darf die Cocons aber nicht vor dem 10. Tage einsammeln, damit man die Raupe nicht in ihrer Verpuppung stört. 32–40 Tage braucht die Raupe vom Auskriechen aus dem Ei bis zur Verpuppung.

Feinde der Seidenraupe: Ratten, Mäuse, Wanzen, Ameisen, Vögel, bes. Schwalben, Sperlinge u. Hühner; auch Öl ist ihnen schädlich u. sie sterben, wenn man sie mit Öl bestreicht, sogleich. Krankheiten: a) Gelbsucht: der Kopf schwillt auf, die Haut wird glänzend, die Ringe sind angeschwollen u. nehmen eine hell- od. dunkelgelbe Farbe an, der Wurm gibt gelbes Wasser von sich; Abart die Fettsucht; Ursachen: zu dichtes Aufhäufen der Würmer u. des Futters; die Würmer müssen an die frische Luft gebracht werden; b) Starrsucht (Muscardine): in den Ringen des Leibs zeigen sich weißliche Punkte u. der Wurm wird matt u. starr; Abart: das Schwarz- od. Steifwerden der Würmer; Ursachen; Mangel an Reinlichkeit[779] u. frischer Luft; die Würmer sind wegzuwerfen; c) Wassersucht: zur Zeit des Einspinnens zeigen sich die Würmer halbdurchsichtig, als hätten sie die vollkommene Reise erlangt, sie sind aber mit Wasser angefüllt, spinnen sich nicht ein u. sterben; d) Durchfall: die Auswürfe der Raupen sind flüssig u. färben das Papier grün; Ursachen: längere Zeit Fütterung mit Wasserschossen od. schnellwüchsigem Laub nach regnerischer Witterung; Heilung: man füttert nur harte, etwas abgewelkte Blätter von alten Bäumen u. bringt den Wärmegrad des Zimmers auf 26°; e) Brechdurchfall, ein höherer Grad des Durchfalls; Ursachen: anhaltend trockene od. nasse Witterung; Heilung: Hunger u. ein erhöhter Wärmegrad; f) Verstopfung: die Auswürfe sind fest u. schwärzlich, die Würmer heben statt des Kopfes den Hals in die Höhe u. breiten die Fransen des Hintertheils auseinander, ohne daß Auswurf abgeht; Ursachen: zu festes, rostfleckiges Futter, große Wärme; Heilung: Fütterung mit jungen Trieben; g) Auszehrung: die Würmer sind sehr schwach u. wachsen langsam, sie hören auf zu fressen, fühlen sich weich an u. sterben; h) die rothe Farbe, die Würmer werden röthlich, dann weißlich gefärbt; Ursachen: daß die Eier zu warm gehalten, od. das Ei od. die jungen Seidenwürmer einem zu schnellen Wechsel der Temperatur ausgesetzt worden sind; die Würmer werden weggeworfen.

Gewinnung der S. In den Cocons, welche zur Gewinnung der S. benutzt werden sollen, muß der Schmetterling vor dem Auskriechen getödtet werden; dies geschieht, indem man sie in Körbchen od. auf Bretern in einem Backofen 3 Stunden einer Wärme von 50–60° aussetzt, od. 10 Minuten in Körbchen auf einem eisernen Roste den Dämpfen eines Kessels mit siedendem Wasser. Dann werden die Cocons, die guten in vier, die schlechten in drei Sorten sortirt u. jede Sorte bes. in einem Kessel mit lauwarmem Fluß- od. Regenwasser mit einem Besen herumgerührt (abgeschweift, geschlagen, gestaucht); dadurch wird der Gummi, welcher den Faden des Cocons verbindet, aufgelöst, u. zugleich hängt sich die Floretseide an den Besen an. Nun nimmt man die Enden von 3–24 Cocons, je nachdem der Faden stark werden soll, zu Einem Faden zusammen, befestigt diesen an dem Seidenhaspel (s.d.) u. haspelt so einen Strähn zusammen (Flottseide) ab. Eine Arbeiterin (denn meist wird das Abhaspeln von Frauen besorgt) dreht den Haspel, die andere hat Acht auf den Kessel u. die Cocons, damit, wenn der Faden eines Cocons zu Ende geht, der Faden eines andern Cocons angeworfen werde u. so der Seidenfaden gleiche Stärke behalte. Zugleich muß diese Arbeiterin darauf sehen, daß das Wasser eine Temperatur von 20–22° behält, also weder zu kühl, noch zu heiß wird; denn im ersten Falle geht das Haspeln schlecht von Statten, im andern wird der gute Seidenfaden aufgelöst u. zu Floretseide. Ist das Wasser im Kessel schmutzig, so muß es erneuert werden, was in der Regel Morgens u. Abends geschieht. Die Dattel mit der todten Puppe wird zuletzt weggeworfen od. auch zu Floretseide verwendet. Als das durchschnittliche Erträgniß von 1 Loth Seidenraupeneiern (Grains) sind 45 Pfd. Cocons anzunehmen, obgleich unter bes. glücklichen Umständen wohl das Doppelte der angegebenen Menge gewonnen werden kann. Ungefähr 8 Pfd. gehaspelte rohe Seide werden aus 100 Pfd. frischen, nicht ausgetrockneten Cocons gewonnen. Den Grad der Feinheit der S. bestimmt man durch das Titriren auf der Denierwage; mittelst eines Haspels mit Zifferblatt u. Zeiger, welcher bei 100 Umdrehungen um eine Ziffer vorrückt u. eine kleine Glocke ertönen läßt, zählt man 400 Haspelumdrehungen ab, nimmt die S. vom Haspel u. wiegt sie auf der Denierwage; je schwerer der aufgewundene Faden wiegt, um so gröber ist die S.u. umgekehrt. Das Gewicht wird in Granen (Grains) ausgedrückt, deren 24 einen Denier machen, sowie 24 Deniers = 1 Unze u. 16 Unzen = 1 Pfd. sind. Wird die Seide an einem feuchten Ort längere Zeit aufbewahrt, so absorbirt sie bis zu 10 Procent Feuchtigkeit. Diese Eigenschaft kann zu Betrügereien beim Verkauf führen, deshalb hat man in einigen Ländern Anstalten, in welchen die S. auf ihren Feuchtigkeitsgehalt geprüft wird. Dieses Verfahren nennt man das Conditioniren der S. Die so gewonnene Rohe S. (Grez-, Matessenseide) ist weißlich od. gelblich, grünlich, bläulich, röthlich, enthält noch viel Gummitheile u. wird durch Auskochen mit Seife degummirt (entschält od. entschleimt), auch wohl noch geschwefelt u. erhält dadurch die gehörige Weiße. Dieser weißen S. gibt man aber doch auch wieder einen röthlichen Schimmer durch Farbe (chinesisches Weiß), od. einen bläulichen, wo es dann nach den verschiedenen Abstufungen indisches, Milch-, Silber- od. Azurweiß heißt. Die degummirte S. wird nun in den Filatorien od. Seidenmühlen moulinirt od. filirt; die Seidensträhne werden hierzu zunächst auf der Wickelspulmaschine auf hölzerne Spulen gewickelt, wobei die auf Winden od. Haspeln aufgesteckten u. durch ein Triebwerk um ihre Achse gedrehten Spulen die S. von den Haspeln herabziehen u. sie auf sich selbst aufwickeln. Nach Befinden werden die Fäden auf der gleich zu erwähnenden Zwirnmaschine etwas gedreht, u. dann doublirt (duplirt) man sie auf der Doublirmaschine, d.h. man vereinigt die auf die Spulen aufgerollten Fäden zu zwei od. drei auf neuen Spulen. Hierauf folgt das Zwirnen (Drehen) der S. mittelst der einer Spulmaschine ähnlichen Seidenzwirnmaschine (Seidenzwirnmühle, Spinnmühle, Filatorium, s.d.). Die gezwirnte S. wird wieder zu Strähnen gehaspelt. Nach den Verschiedenheiten in der Zusammensetzung u. Drehung unterscheidet man: a) die Organsinseide (deren erste Sorte Orsoglio- od. Orsoyseide heißt, u. von welcher die Florseide bes. zu schweren Zeugen gebraucht wird), welche aus den schönsten, festesten u. feinsten Cocons gewonnen u. meistens zur Kette verwendet wird (Kettenseide); sie ist aus zwei od. drei stark gedrehten, aus 3–8 Coconfäden bestehenden Fäden gezwirnt. b) Die aus mittelfeinen Cocons gewonnene Tramseide (Trama od. Einschlagseide) ist schwächer gedreht, besteht aus 1–3, aus 3–12 Coconfäden gebildeten Fäden u. dient bei Zeugen zum Einschuß, zur Verfertigung von seidenen Schnüren etc. c) Eine zweifädige, stark gezwirnte Mittelsorte zwischen Organsin u. Trama heißt in Frankreich Tors sans filé. d) Maraboutseide ist dreifädig, blendend weiß, nach Art der Trama gezwirnt, wird nicht geschält, gefärbt u. nur scharf gezwirnt. e) Die Pelseide (Pelo), aus den geringsten Cocons, bildet grobe, aus 8–10 Coconfäden zusammengedrehte Fäden, wird zu halbseidenen Stoffen, zu Gold- u. Silbergespinnsten verarbeitet. f) Nähseide (Cusir),[780] wird aus 3–24 Coconfäden in verschiedener Weise dargestellt. Cusirino ist die für die Spitzenfabrikation bestimmte S.; sie ist wie die Nähseide duplirt, aber feiner als diese, da sie gewöhnlich aus neun Coconsfäden besteht. g) Strickseide, der Nähseide ähnlich, aber dicker, weicher u. schwächer gezwirnt; man zwirnt erst 2–6 nicht gedrehte Rohseidenfäden rechts zusammen u. vereinigt dann drei od. vier solcher gezwirnter Fäden durch eine linke Zwirnung. h) Cordonnirte S., zu gestrickten u. gehäkelten Arbeiten, ist derb gezwirnt, rund u. glatt, so dick wie grobe Nähseide, aber schöner von Aussehen. i) Die Stickseide (Flache S. od. Plattseide) ist zugerichtet u. gefärbt, besteht aus mehren Fäden, welche aber nur schwach zusammengedreht sind. Die Moschseide ist ungefärbt u. noch nicht gehörig zugerichtet; die Dockenseide ist zu Docken gehaspelt u. zum Färben vorbereitet. Clochepied ist französische S., bes. für Gazefabriken; zwei Fäden sind zusammengedreht u. um den dritten gewunden; Bundseide ist S. in Bunden. Bei der aus Abfällen der S. (Galletseide) gewonnenen S. (Floretseide) unterscheidet man fünf Sorten: die aus den durchbissenen Cocons, welche zu Samen aufbewahrt wurden, ist die beste; die aus Abfällen bei Zubereitung der Seidenfäden folgt hierauf; dann die aus den Cocons, in denen die Puppen zu spät getödtet wurden; ferner die aus den Überbleibseln der Cocons beim Abhaspeln (Coconhäute), u. die aus dem groben Gewebe, mit welchem die Raupen das Einspinnen beginnen u. von der ein Theil (die Flockseide) beim Einsammeln der Cocons an den Reisern hängen bleibt. Alle Arten der Abfälle werden 1–3 Tage in lauwarmes Wasser eingeweicht, in Flußwasser ausgewaschen, mehre Stunden in Seifenwasser gekocht u. dann so lange in reinem Wasser gewaschen, bis dies vollkommen rein abfließt, dann wird sie auf der Luft u. Sonne ausgesetzten Rohrbetten ausgebreitet u. getrocknet. Dadurch sind die Fäden von einander gelöst u. zugleich gebleicht; man klopft alsdann das gewonnene Material auf Hürden od. Tischen mit dünnen Holzstäbchen, um es aufzulockern u. von Schmutz noch mehr zu befreien, krempelt es wie Baumwolle u. spinnt es. Zum Theil hechelt od. kämmt man die langen Arten des Seidenabfalls theils aus der Hand, theils auf Maschinen, ähnlich wie Flachs od. Kammwolle; die dabei abfallenden Kämmlinge heißen Stumpen od. Seidenwerg. In Italien u. der Schweiz kocht man die Floretseide nicht mit S., sondern überläßt sie in Bottichen mit warmem Wasser einer Gährung; dadurch erhält die S. zwar einen schöneren Glanz, aber einen übeln Geruch. Die gesponnene Floretseide (Seidengarn, gesponnene S.) kommt unter dem Namen Crescentin, Schappe, Galettam, Galett in den Handel u. wird zu Halbseidenzeugen od. groben Seidenfabrikaten verarbeitet, wie zu Coconsblumen. Die bei der Floretseidenbearbeitung entstehenden Abfälle heißen Strazza; die gekrempelte Floretseide dient bisweilen als seidene Watte. Die Güte der S. beurtheilt man hauptsächlich nach ihrer Feinheit, Reinheit, Sanftheit im Anfühlen u. Geschmeidigkeit. Bei der gefärbten S. kommt viel auf Schönheit u. Echtheit der Farben an. Soll die S. gefärbt werden, so wird sie vorher degummirt, geschwefelt u. capellirt. Jeder Strähn wird vor dem Auskochen auf das Capellirholz (einen glatten runden Arm an einer Stange, welche selbst mit ihrem Fuß an einen Tisch angeschraubt ist) gespannt; die Gebinde in den Strähnen werden aus einander gezogen, die Anfänge der langen Fäden der Gebinde aufgesucht, gebunden u. umwunden, damit sie sich nicht verwirren, darauf zugerichtet, d.i. in Seifenwasser u. dann in ein kaltes Alaunbad gelegt u. zuletzt in reinem Wasser ausgewaschen. Dann wird sie in die Farbenbrühe gebracht u. nach verschiedener Weise gefärbt; vgl. Färbekunst, Seidenmanufactur u. Seidenzeuge.

Der Seidenhandel mit ungewebter S. wird bes. vom Orient, Italien, Spanien u. Frankreich aus stark betrieben. Die beste u. schwerste, jedoch im Faden nicht ganz gleiche S. ist die chinesische S.; die meiste, feinste u. weißeste liefern die Provinzen Nanking u. Tschekian; eine gute Sorte davon heißt Tani. Eben so trefflich ist die japanische S. Die ostindische, bes. bengalische S. kommt der chinesischen an Feinheit u. Schönheit ziemlich gleich. Die feinste Sorte heißt ebenfalls Tani, eine geringere Sorte Mouta; andere Sorten Tanna-Banna-S., Adapaugia u. Raypours; bei der bengalischen S. unterscheidet man Cabesse, Tomug, Bariga (die geringste) u. rohe S. Mongolische S. nannte man bes. sonst ostindische S. aus den Ländern des Großmoguls; sie ist meist gelb; Hauptarten derselben sind: Aggouad, Chesta, Sawand, Assoree, Saur u. Maugbünder S., letztere die geringste ist. Von der persischen S. kommt die beste aus Ghilan; dieser folgt die S. aus Schirwan, Eriwan u. Astrabat; von der Rohseide heißt die beste Sorte Hayla, welche aber nicht in den Handel kommt; auf diese folgt Sanduki u. dann Miane. Von der levantischen S. heißt die erste Sorte Sherbassi (Scherbat), die andere Ardessine (Ardanne, Ardesses). Von letzter heißt die schlechtere Sorte Finastre. Berühmt ist auch die Alepposeide; doch begreift man unter levantischer S. auch die S. aus Ostindien, Persien, Türkei, Griechenland; fast alle Sorten sind gut, weiß, silberfarben, perlfarben u. citronengelb. Matzenseide ist die, welche aus der Levante, bes. aus Persien, Calabrien u. Sicilien in Matzen (runden kleinen Bällchen von 1–2 Pfd.) in den Handel kommt. Italien erzeugt sehr viele u. zum Theil sehr gute S.; Piemont liefert die beste u. glänzendste italienische Organsin; die Mailändische S. ist etwas geringer; Bergamo liefert eine schöne glänzende Sorte; ebenso Florenz u. Neapel, bes. Calabrien; Genua liefert eine rohe S. (Bantine), welche der mittleren calabreser an Werth gleicht; die genuesische S. ist weiß (bes. gut die von Novi) u. gelb; die sicilische S. ist gelblich, grobfaserig, stark u. sehr fest. Die spanische S. kommt der italienischen am nächsten; die Granadaseide von den Alpujarres ist sehr fein u. fest; die von Valencia gröber, härter u. fetter; noch geringer u. härter die von Murcia u. Aragonien. Spanien liefert jährlich ungefähr 30,000 Ctnr. S. In Südfrankreich wird zwar sehr viel S., jährlich für etwa 5 Mill. Thlr., gebaut, aber im Lande verarbeitet. Bes. gut ist die dortige Contatseide; doch ist auch die S. aus Vivarais, Provence, Languedoc, Dauphiné u. Aubenas sehr geschätzt. Portugal, die Schweiz u. Südrußland bauen zwar S., bringen aber keine in den Handel, ebenso Deutschland, in welchem in vielen Gegenden Seidenbau getrieben wird, doch bis jetzt nirgends in einer erheblichen Ausdehnung. Auch Österreich[781] hat vorzügliche S., nicht allein in der Lombardei, sondern auch in Tyrol, bes. bei Brixen, Trient u. den welschen Confinien. England verbraucht jährlich ungefähr 4 Mill. Pfd. S., wozu ungefähr 14,000 Mill. Cocons gehören, doch hat der Seidenbau dort nie gedeihen wollen.

Der Seidenbau ging, nach allen Nachrichten, von China aus, wo die Gemahlin des Kaisers Hoang-Ti 2700 v. Chr. seidene Stoffe zu bereiten gelehrt haben soll, wie denn auch später noch die chinesischen Kaiserinnen den Seidenbau unter ihrem Schutz hatten. Bei den alten Schriftstellern wird das Land, woher die S. nach Westen kam, Serike (s.d.), die Bewohner Seres genennt, welche gewiß keine andern als Chinesen sind. Von diesen holten sie scythische u. parthische Kaufleute u. brachten sie entweder zu Lande auf die Märkte Armeniens u. Syriens, od. nach Stapelorten des Euphrat. Nach der Zerstörung des Parthischen Reiches durch die Perser ging der Seidenhandel auch in die Hände der Perser über. Ob der Gebrauch der S. schon bei den Hebräern üblich war, ist sehr ungewiß, obgleich man sie schon zu Ezechiels Zeiten bei ihnen unter dem Namen Meschi erwähnt finden will u. S. in Ägypten unter den Ptolemäern ein bedeutender Handelsartikel der alexandrinischen Kaufleute war. Im Abendland war das Wesen des Seidenbaues lange ganz unbekannt; seidene Kleider hießen bei den Griechen u. Römern Serica u. Bombycina, u. nach späterer Deutung sollte das Seidenland Serike von Ser, d.i. der Seidenwurm, seinen Namen erhalten haben. Sonst hieß auf griechisch der Seidenwurm Bombyx u. soll auch auf der Insel Kos (s.d.) gezogen, nach Andern aber hier blos die aus dem Orient importirten Cocons in Fäden aufgelöst, gesponnen u. dann gewebt worden sein. Als erste Seidenweberin hier wurde Pamphila, die Tochter des Latous, genannt. Nach der im Alterthum gewöhnlichen Erzählung, daß der serische Stoff der wollige Überzug der Blätter eines asiatischen Baumes gewesen, welcher befeuchtet, abgekämmt, gesponnen u. dann gewebt worden sei (vgl. Seidenpflanze u. Seidenwollenbaum), unterscheiden Einige zwischen Serica u. Bombycina, u. halten die leichten, feinen, durchsichtigen, glänzenden Serica, welche bunt u. mit eingewebten Blumen geschmückt waren, für solche baumwollene, dagegen die Bombycina für wirklich seidene; nach Andern waren beide seiden u. unterschieden sich blos so, daß die Serica die in Serike verarbeiteten, die Bombycina erst in Kos gesponnenen u. gewebten waren, u. sie halten überhaupt die Erzählung, daß der serische Stoff eine Art Baumwolle war, für eine Unkunde der Sache. Doch erhielt sich die Sage von der serischen Baumwolle auch noch in späterer Zeit, wie sie noch Ammianus Marcellinus erzählt. Den Seidenwurm beschreibt zuerst Aristoteles, nur nicht als Schmetterling, sondern erst als Wurm, dann als Raupe, endlich als Puppe (Nekydos); erst Plinius nennt ihn einen Schmetterling. Der Gebrauch seidener Kleider kommt in Griechenland wohl erst seit dem Zuge Alexanders des Großen nach Persien u. Indien vor; von da kam die Kunst der Seidenweberei wahrscheinlich nach Etrurien. Den Römern wurden seidene Stoffe vielleicht durch die Kriege des Lucullus gegen Mithridates im 1. Jahrh. v. Chr. bekannt; die Römer hatten theils Holoserica, ganz seidene Gewänder, theils Subserica, deren Stoffe nur im letzten Aufzuge aus S. waren. Für Männer galt es in Rom unwürdig seidene Kleider zu tragen, ja sie waren verboten, u. erst der Kaiser Heliogabals scheint sich über dies Verbot weggesetzt zu haben; vornehme u. üppige Weiber trugen sie viel, u. dies gab dem Seneca u.a. Moralisten Veranlassung gegen die Tracht solcher dünnen Kleider als eine unanständige zu eisern, da man durch diese die ganzen Körperformen sehen konnte. Reiche u. Wollüstlinge hatten mit S. überzogene Kissen. In Europa wurde der Seidenbau erst seit dem 6. Jahrh. n.Chr. getrieben, indem 551 zwei Mönche Eier von Seidenwürmern aus Indien nach Constantinopel gebracht haben sollen, woraus die Seidenraupen gezüchtet wurden. Bis in das 12. Jahrh. besaß Griechenland allein u. bes. die Insel Kos den Seidenwurm u. die Arbeiter. Araber hatten die Behandlung des Seidenwurms u. die Verfertigung der S. nach Spanien gebracht, wo sich nachmals bes. Almeria u. Lissabon durch Seidenfabriken auszeichneten. Nach Sicilien wurde der Seidenbau u. die Verfertigung der S. durch Rogers II. Feldzug gegen den byzantinischen Kaiser Emanuel 1130 gebracht; denn Roger II. nahm nach der Einnahme Korinths, Athens u. Thebens mehre Seidenarbeiter von dort mit nach Sicilien, wo sie bes. in Palermo ihre Kunst trieben. Der Verfall der sicilischen Weberstühle war eine Folge der Unruhen auf der Insel u. der Mitbewerbung der italienischen Städte. Aber andere Unruhen brachten auch im nördlichen Italien aus Lucca, welche Stadt 1314 allein in Italien im Besitz der Seidenweberei war, zum Theil erst im 15. Jahrh. die Manufacturen nach Florenz, Bologna, Modena, Venedig, Mailand u. selbst in die Länder jenseit der Alpen, bes. unter Heinrich IV. nach Frankreich, wo Sully mit großen Kosten Maulbeerbäume anpflanzen ließ u. der Seidenbau sich unter Ludwig XIV. sehr hob. Vor dem Jahre 1789 wurden in Frankreich jährlich 61/2 Mill. Kilogramm Cocons gewonnen, während der Revolutionsperiode nur 31/2 Mill. u. während des Kaiserthums 5 Mill. Von da an ist die Seidenproduction in regelmäßigem Wachsen begriffen gewesen u. betrug 1830 11 Mill., 1853 26 Mill. Kilogr. Cocons, in neuester Zeit war sie wieder im Abnehmen u. belief sich 1856 nur noch auf 71/2 Mill. Kilogramm. Die Seidenweberei blüht bes. in Lyon, wo zu Anfang dieses Jahrh. nur 8000, im Jahre 1855 aber 72,000 Webstühle beschäftigt waren. In neuerer Zeit hat man auch in den mittlern Ländern Europas, so weit der weiße Maulbeerbaum im Freien ausdauert, Versuche mit dem Seidenbaue gemacht. In der Schweiz hat man sich bes. in den Cantonen Zürich u. Aargau auf die Seidenzucht geworfen, aber ohne große Erfolge zu erzielen. Die erste Seidenbaugesellschaft in Deutschland entstand 1670 in Baiern. In Preußen setzte schon Friedrich der Große Prämien auf die Cultivirung des Seidenbaues; in der Pfalz wurden unter Kurfürst Karl Theodor 80,000 Maulbeerbäume angepflanzt, u. Ähnliches geschah in Württemberg, Sachsen u.a. deutschen Staaten. Noch schadeten aber die Privilegien der Seidenbaugesellschaften u. die übertriebenen Belästigungen u. Bestrafungen, wodurch der Seidenbau so verhaßt wurde, daß Tausende von Maulbeerbäumen umgehauen wurden. Die Französische Revolution gab dem Seidenbau in Deutschland den letzten Stoß. Erst um 1820 begann man dem Seidenbau in [782] Deutschland wieder Aufmerksamkeit zuzuwenden. In Österreich, namentlich in Tyrol, wurde von da ab der Seidenbau sehr glücklich betrieben. In Baiern wurde er durch v. Hazzi wieder ins Leben gerufen, Maulbeerbäume vertheilt u. durch öffentliche Blätter u. besondere Schriften Belehrung über die Behandlung der Seidenraupen verbreitet. In Preußen wirkte für den Seidenbau namentlich v. Türk; er errichtete in Klein-Glienicke eine Seidenbaumusteranstalt, in welche aus mehren Provinzen auf Staatskosten Personen geschickt wurden, um den Seidenbau praktisch zu erlernen; u. in der Mark Brandenburg wird ziemlich viel Seidenbau getrieben. Auch in Rheinpreußen findet der Seidenbau immer mehr Anklang u. Ausdehnung. In Sachsen bestehen für den Seidenbau bes. Vereine in Leipzig u. Dresden. In Württemberg, Baden, Hessen, Nassau, Koburg, Hannover wird der Seidenbau ebenfalls ausgedehnter betrieben. Bes. befördert wurde derselbe außer den schon oben angeführten Maßregeln durch Gründung von Seidenhaspelanstalten, in welche kleine Züchter ihre Cocons zu lohnenden Preisen verkaufen können. An mehren Orten, bes. in Frankreich, hat man sich in neuester Zeit auch Mühe gegeben, ohne Seidenwürmer aus Maulbeerblättern künstliche S. zu erzeugen; doch sind die Versuche noch nicht vollständig geglückt u. werden es vielleicht auch nicht. Vgl. Rammlow, Seidenzucht u. Maulbeerbaum, Berl. 1840; Möglin, Anleitung zur Maulbeerpflanzung u. Seidenzucht, Tüb. 1841; v. Carlowitz, Der Anbau des Maulbeerbaums u. die Seidenzucht, Lpz. 1842; v. Türk u. Löbe, Mittheilungen über Seidenbau, ebd. 1843; Hoffmann, Handbuch der Seidenerzeugung, Würzb. 1844; Möglin, Die Seidenzucht u. ihre Einführung in Deutschland, Stuttg. 1844; Der Seidenbau in Sachsen u. angrenzenden Ländern, Lpz. 1844; v. Türk, Anleitung zur zweckmäßigen Behandlung des Seidenbaues, 3. Aufl. Lpz. 1853; Ziegler, Die Seidenzucht, 2. Aufl. Regensb. 1843; Hlubek, Unterricht in der Seidenzucht, Graz 1850; Hübner, Anleitung zur einträglichsten Seidenraupenzucht, Lpz. 1852; Netz, Anleitung zur Zucht der Seidenraupen, Darmst. 1855; Kaufmann, Die vortheilhafteste Zucht der Ricinusseidenraupe, Berl. 1859; Riecke, Der Futterbau für die Seidenraupen, Nordh. 1857; Geschichte der S.u. Seidenzucht, Wien 1858.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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