Tscherkessen

Tscherkessen

Tscherkessen (Circassier, von den Türken Tscharkassen, in der Landessprache Adhige, Adighe genannt), 1) Volk zur Kaukasischen Race, aber ungewiß zu welcher Familie derselben gehörend, auf u. am Kaukasus, längs der Ostküste des Schwarzen Meeres, vom Kubanflusse bis zum Cap Iskale u. bis zum Elbrus wohnend. Die Körperform der T. ist schön, so daß Männer u. Frauen als Muster gelten; sie sind schlank gewachsen, haben ovalen Kopf, braune Haare (welche die Männer abgeschnitten mit einem Scheitelbüschel, die Frauen in mehren langen Zöpfen tragen), braune große Augen, weiße Gesichtsfarbe, gerade Nase., nicht vortretende Backenknochen, geraden Hals, verhältnißmäßig kleine Füße, bes. die Frauen. Die Männer tragen ein leinenes od. rothseidenes Hemd (Jona), blaue anliegende Beinkleider mit Stegen u. silbernen Schnuren auf den Nähten, oft auch, zum Reiten, darüber noch ein zweites Beinkleid od. Überstrümpfe von Tuch od. Leder, einen Rock von weißer, rother od. blauer Seide, eine bei feierlichen Gelegenheiten blaue od. violette, sonst aber naturfarbene Litewka ohne Kragen (auf der Brust sind zwei Patrontaschen aufgenäht, deren jede 8–10 metallene od. hölzerne Patronen enthält) u. einen schwarzledernen Gürtel (Bischirück); die Schuhe sind ohne Sohle, bei dem Volke von rohem Leder, bei dem Adel gelb, bei den Fürsten roth; die Kopfbedeckung ist eine wattirte, pelzverbrämte Mütze, mit Treffen von dem Knopf nach der Verbrämung besetzt; nur die Mollahs (muhammedanischen Priester) tragen einen Turban. Bei schlechtem Wetter wird ein Filzmantel (Burka) als Überwurf, eine spitzige Regenkappe, welche den Nacken deckt u. vorn zugebunden wird, u. Überschuhe getragen. Waffen tragen die T. fast immer, es sind der Dolch (Kindshal), halbmondförmiger kurzer Säbel (Tschaschka), eine lange türkische Flinte (Fech od. Skonti), welche mit Pflasterkugeln mittelst eines Hammers geladen wird, kurze Pistolen, zuweilen auch Bogen u. Pfeile in rothledernem Köcher. Über die Litewka trägt der T. noch ein Panzerhemd. Die Kleidung der Frauen besteht aus einem Hemd, weiten Beinkleidern, langem Kaftan u. vorn ausgeschnittenem Überkleid, mit Pelz od. Tressen besetzt; der Stoff zu diesen allen ist Baumwolle od. Seide. Die Mütze ist rund, meist roth u. oft von dem Scheitel nach unten mit Treffen besetzt, oft auch mit einer Art Diadem; von ihr wallt ein langer Musselinschleier herab. Nahrung: meist Pflanzenkost, bes. ein dicker Hirsebrei (Gomé), Brod bäckt man nur in Gegenden, wo Gerste, Weizen od. Mais wächst, u. zwar ungesäuert in runden, 3 Zoll hohen Kuchen in heißer Asche; bereitet Pillaw, Spießbraten (Schischlik) von Hammelfleisch, mit einer Sauce von Pfeffer u. Zwiebeln, Fleischkügelchen od. Ragouts. Getränke: Wasser u. Milch; von gegohrenen Getränken wird zu Ehren der Fremden eine Art Meth (Schuat), ferner eine Art Bier u. eingekochter Traubensaft bereitet u. beim Genuß mit Wasser vermischt. Tabak rauchen die Männer stets aus türkischen od. aus kleineren Pfeifen. Die Wohnungen der T. bestehen meist aus unbehauenen Stämmen, welche zusammengeschränkt u. wenn sie 10 F. hoch sind, flach mit Stangen belegt, die Zwischenräume durch Flechtwerk ausgefüllt u. mit Lehm ausgeschlagen werden. Auf diesem flachen Dach bringt die Familie oft den Abend zu. Thür u. Rauchfang sind meist die einzige Öffnung, selten findet sich ein mit einem Laden zu verschließendes Fenster; Fußboden mit Thon ausgeschlagen, bei Reichern mit einem Teppich bedeckt, u. Divans mit Teppichen laufen um die Wände. Im Hintergrund des Hauses ist die Feuerstätte, rechts die Wohnung der Familie u. des Hausherren, links die der Diener. 40–50 Häuser, in einem Kreis gebaut u. durch Zäune von Flechtwerk mit dahinter geschlagener Erde, einigermaßen zur Verschanzung, verbunden, bilden ein Dorf (Aul); in der Mitte des Kreises weilt des Nachts das Vieh. Beschäftigung: Ackerbau wenig,[888] meist in den Thälern auf Hirse, doch auch etwas auf Gerste, Weizen u. Mais, etwas Obstbau, mehr Gemüsebau, bes. von Bohnen, weniger Linsen u. Erbsen; viel Viehzucht, man hält Rindvieh, Büffel, Ziegen, Pferde (worunter nur wenige von edler Race), bes. Schafe u. Bienen; Jagd auf Schakale, Wölfe, Bären, Hirsche, Rehe, Hochwild, Hafen, Füchse, Fasanen u.a. Wild; Waldung ist sehr viel vorhanden. Von Gewerben liegt den Männern nur ob Waffen, Leder, Eisengeräthe, Pferdegeschirre u. dgl., Gold- u. Silberarbeiten zu fertigen, während die Frauen die Kleider aus Hanf, Flachs, Wolle verfertigen. Der Handel mit den Türken u. Russen war zu Anfang des Jahrh. sehr stark; die T. lieferten Wolle, Wachs, Häute von Ochsen, Hirschen u.a. Wild, bes. aber Sklaven u. Sklavinnen, theils geraubte, theils eingeborne; sie empfingen dafür Salz, Pulver, Waffen, Kriegs- u. Jagdbedarf. Von Charakter sind die T. höflich, thätig, mäßig, tapfer u. ausdauernd, doch auch eigennützig, hinterlistig u. räuberisch. Die Religion der T. ist dem Namen nach der Islam, doch nur die Fürsten u. der Adel halten seine Gebräuche, das Volk aber verehrt zwar Muhammed u. hat einige Gebräuche der Moslems, sonst aber eine Naturreligion, mit der Verehrung Eines Gottes u. mit heidnischen u. christlichen Lehren u. Gebräuchen vermischt. So feiern sie das Osterfest u. den Sonntag, halten Processionen mit vielen Kerzen etc.; sie glauben noch an mehre Naturgeister, welche sie Apostel nennen, welche unter dem einigen Gott herrschen, so an den Donnergeist Iele (Ilia, d.i. Elias), an den Feuergeist Tleps, an den Wasser- u. Windgeist Serseres, welcher zugleich das Vieh schützt u. pflegt, an den Wald- u. Bienengeist Misichta (Mosite od. Meste), an eine Göttermutter Mariam (Meriam, die Jungfrau Maria); sie haben von diesen allen keine Bilder, bringen ihnen aber Opfer. Auch achten sie alte Kreuze u. Kirchen aus christlicher Zeit hoch u. brauchen das Kreuz auch bei ihren Ritualen u. als Amulet. Moscheen u. Tempel kennen sie nicht, wohl aber heilige Haine, heilige Bäume, unter denen zu Gott gebetet wird, u. heilige Berge; Priester (Mollahs) sind alte hochgeachtete Personen, welche den Ritus u. die Erziehung leiten. Einzelne Tscherkessenstämme sind noch ganz Heiden. Sitten einfach u. unverdorben. Der Knabe wird nicht im elterlichen Hause erzogen, sondern schon am dritten Tage nach der Geburt einem älteren kriegserfahrenen, meist am Hofe seines Vaters lebenden Edlen, dem Atalik, zur Übung im Reiten u. in den Waffen etc. übergeben, u. zwischen dem Atalik u. seinem Zögling bleibt lebenslang ein inniges Verhältniß. Mannbar geworden, wird der Knabe durch sieben Zeugen als der anerkannt, welchen der Atalik erhalten hat, dann von diesem entlassen u. durch die Knabenweihe mit religiösen Ceremonien u. Opfer eines Thieres feierlich in das Leben eingeführt. Die Erziehung der Mädchen ist mehr auf das Haus u. die Wirthschaft gerichtet. Bis zur Heirath gehen die Mädchen unverschleiert u. leben mit den jungen Männern ihrer Bekanntschaft zusammen; die Heirathen erfolgen gewöhnlich nach dem Stand der Braut, der Bräutigam zahlt einen Preis (Kalim) an Waaren (oft 200 Gegenstände) u. 2–4 Sklavinnen für seine Braut, welche bei der Wahl des Bräutigams auch eine Stimme hat u. sich selten einem Jüngling ergibt, welcher keinen Kriegs- od. Raubzug mitgemacht hat. Bei der Verlobung erscheint die Braut nicht u. zeigt sich überhaupt spröde gegen den Bräutigam u. flieht ihn sorgfältig. Etwa 14 Tage vergehen bis zur Hochzeit, wo wieder eine feierliche Versammlung statt findet, bei welcher aber auch der Bräutigam sich versteckt hält u. endlich die Braut mit Hülfe seiner Freunde entführt. Aber auch jetzt noch flieht sie ihren Gatten bei Tag immer, während sie Besuche anderer Jünglinge, wie früher, frei annimmt; dies dauert noch nach der Geburt des ersten Kindes u. länger, bis sie endlich ganz seine Hausfrau wird. Als erklärte Frau trägt sie nun stets ein baumwollenes viereckiges Tuch auf dem Kopf, hält sich mehr zurückgezogen u. besorgt die häuslichen Arbeiten, steht aber in der Ehe ganz im Verhältniß einer Sklavin zum Manne. Verkaufen od. tödten darf er sie nicht, außer wenn sie des Ehebruchs schuldig ist, sonst tritt Blutrache ein. Die T. leben in Monogamie. Über seine Söhne u. Töchter behält der Mann lebenslang das Recht, sie zu verkaufen od. zu tödten, u. der Verkauf der Tscherkessinnen (Circassierinnen) wird bei den Töchtern meist von Ärmern u. Geringern, welche nicht hoffen dürfen, daß ihre Töchter einen Mann bekommen, zuweilen aber auch aus Geldgier der Works (s. unten) benutzt, um dieselben in die türkischen Harems zu Constantinopel zu verkaufen. Der Handel mit Tscherkessinnen ist neuester Zeit zwar von den Russen untersagt, wird aber insgeheim noch stark getrieben, s.u. Sklaverei S. 718. Der Preis für ein solches Mädchen ist 500–10,000 Thaler, je nachdem das Mädchen jung, schön u. vornehm ist.

Andere Sitten u. Gebräuche der T.: Begrüßungen bestehen bei Mäunern in Ergreifen u. Küssen der Hände, welche sie dann an die Stirn legen, die Frauen umarmen sich mit dem einen Arme u. drücken dann die andere Hand derjenigen, welche sie begrüßen. Männer u. junge Frauen reiten von einem Orte zu dem andern, ältere fahren in einem einfachen Wagen; an der Küste hat man hölzerne schmale Ruderböte als Transportmittel. Spiele sind: Pferderennen, das Dschigittiran, d.h. Flankiren zu Pferd mit Flinte u. Säbel, dabei Scheingefecht, Steinwerfen; Spaßmacher suchen jedes Spiel u. jede Geselligkeit, Gastmähler u. dgl. durch Scherze zu würzen. Die T. lieben Musik sehr; die gewöhnlichsten musikalischen Instrumente sind die Hirtenflöte, der Dudelsack u. eine zweisaitige, im Kasten runde Fidel mit krummem Bogen. Jede Herberge hat ihren wandernden Sänger u. jeder Häuptling seinen Barden (Kikooka), welcher die Thaten der Vorfahren u. Stammesüberlieferungen besingt. Der Tanz der T. ist die höchste Aufgeregtheit der Freude; junge Burschen schließen einen Kreis u. dann nimmt Einer die Stelle in der Mitte ein u. macht die tollsten Sprünge u. Geberden, während die Andern ihn mit Händeklatschen begleiten; dann folgt ein Anderer. Wenn der Tanz der Jünglinge geendet ist, folgt der der Mädchen, welcher aber sehr züchtig u. anständig ist. Über die Sprache der T. s.u. Tscherkessische Sprache. Schriftlicher Verkehr besteht nicht; fast kein Tscherkesse kann schreiben, muß es doch sein, so bedienen sie sich der Hülfe Anderer, welche mit arabischen, türkischen, russischen od. tatarischen Buchstaben schreiben. Bei den T. herrscht große Gastfreundschaft; wer einmal Gastfreund (Konak) eines T. ist, wird am Leben u. Eigenthum von[889] demselben geschützt. Reicht ihm die Hausfrau als Ehrenbezeigung die Brust, so wird er als Sohn des Hauses betrachtet. Kranke werden von den Frauen gepflegt; gegen innere Krankheiten werden Amulette u. verschluckte Zettel für Heilmittel gehalten. Die Pest erscheint selten, ist dann aber desto verheerender; auch die Blattern herrschen, doch findet eine rohe Impfung statt. Stirbt Einer, so raufen sich die Verwandten die Haare aus, zerkratzen sich das Gesicht u. schlagen sich selbst blutrünstig, dagegen werden vor dem Feinde Gebliebene als Märtyrer betrachtet u. nicht beklagt, da sie, wie die vom Blitz Erschlagenen, nach dem Glauben der T. unmittelbar ins Paradies eingehen. Die Trauer ist schwarz. Zum Begräbniß wird der Leichnam gewaschen u. Vornehme drei Tage lang ausgestellt, wobei die Töchter zu Füßen der Leiche sitzen, die Frau aber den Todten immer anstarrt; dann wird er hinausgetragen u. in einem Grabe, den Kopf nach Mekka zu, begraben, Flinten u. Pistolen über das Grab abgefeuert, das Leichenmahl aber lange nachher gefeiert. Über dem Grab wird bei Vornehmen ein Kurgan (hoher Grabhügel) aus Steinplatten od. von Erde errichtet u. einige Zeit nach dem Begräbniß ein oft mehrtägiges Fest gegeben, was mit Waffenspielen, Hahnenkämpfen u. Lobliedern auf den Todten endet.

Die Verfassung. Die T. bilden mehre Stämme, welche von einander geschieden leben; erst durch den Krieg mit den Russen ist mehr Einheit unter diese Stämme gekommen. Meist steht einem Stamme a) ein Fürst (Pscheh od. Pfchih) vor (doch hat sich ihre Zahl jetzt sehr verringert); seine Person ist unverletzlich u. keine Blutrache wird an ihm vollzogen, obschoner das Sühngeld zahlen muß (s. unten). b) Die Ältesten od. Edelleute (Work, russisch u. türkisch Usden), entstanden aus den Begleitern der Edelleute, welche für sich unabhängig wurden; es gibt alte Usden, welche vom alten Adel, u. neue Usden, welche von den Fürsten aus dem Volk zu Edelleuten erhoben worden sind. Jeder Work hat sein unabhängiges Eigenthum u. ist keineswegs dem Fürsten subordinirt, vielmehr kann er schalten, wie er will. c) Das Volk od. die freien Männer (Tschochotl), haben Grundeigenthum od. dienen freiwillig einem Fürsten od. Adligen, entrichten Naturalabgaben u. einen gewissen Zins, leisten Folge auf Reisen etc. Freie können nur durch Beschluß von Volksversammlungen, wegen grober Vergehungen, als Leibeigene verkauft werden. d) Die Knechte (Pschilt, Pschelich), meist Kriegsgefangene od. Geraubte, od. deren Abkömmlinge, od. Fremde, welche nach Tscherkessien ohne Gastfreund kommen u. hier von dem ersten ihnen begegneten Freien als Sklaven in Besitz genommen werden, wenn es ihnen nicht gelingt ein Haus zu erreichen, wo sie dann, wenn es auch das ihres Verfolgers ist, Gastfreunde des Besitzers werden. Die Knechte werden, wenn sie keine Versuche zu fliehen machen, gut behandelt u. erhalten nach langer u. treuer Dienstzeit (meist 10 Jahre) od. gegen Zahlung des Werthes von 40–50 Ochsen ihre Freiheit. Oft verheirathen sie sich, u. der Herr kauft oft eine Sklavin, um sie zu fesseln. Die Kinder dieser Ehen sind wieder Sklaven. Die Knechte bauen den Acker, sind Diener u. Hirten, hauen Holz od. holen Wasser. Das Verbrechen, welches der Knecht begeht, muß der Herr sühnen. Dafür kann er ihn auch beliebig tödten u. schlagen, doch verkaufen nur mit dessen Einwilligung, u. wenn es dem Knecht gefällt, kann er einen neuen Herrn suchen, welcher aber den Preis für denselben zahlen muß. Kein Knecht kann zum Kriegsdienst gezwungen werden. Da jeder der drei ersten Stände frei ist u. eigentlich thun kann, was er will, so verbinden sich, um gemeinschaftlich mehr zu wirken, mehre Familien, deren jede unter einem Ältesten steht, zu einer Brüderschaft (Tleusch), deren Ältester (Tatamas) durch Stimmenmehrheit gewählt wird. Die Brüderschaft besteht aus 20 Mitgliedern; wenn sie sich schwach fühlt, löst sie sich auf u. schließt sich an eine od. mehre andere an. Die Brüderschaft ist aufs engste verbunden; sie hilft die Summe der Strafe, welche die Volksversammlung über den Einzelnen beim ersten od. zweiten Falle verhängt, tragen (das dritte Mal tritt sie strafend, oft selbst mit Todesstrafe ein), sorgt für die Frau u. Kinder des gebliebenen Bruders, u. Jeder derselben kann dessen Wittwe heirathen, sorgt dafür, daß jeder standesmäßig begraben wird, u. hält streng darauf, daß der in derselben Brüderschaft Befindliche nicht unter seinem Stande heirathet. Die Knechte gehören, als Mitglieder der Familie, zur Brüderschaft. Oft verbinden sich Brüderschaften zu Ausführung einer Unternehmung u. schwören nicht zu weichen, bis sie dieselbe vollführt, u. oft bleibt im Kriege der letzte einer Brüderschaft, wenn diese nicht gelingt. Über den Brüderschaften stehen die Volksversammlungen, zu denen sich sämmtliche Brüderschaften eines Stammes od. wenigstens die Ältesten einer jeden versammeln; in neuester Zeit treten aber auch mehre od. alle Stämme zusammen, um gemeinschaftliche Unternehmungen zu berathen. Die Volksversammlung findet meist unter einem heiligen Baume gegen Abend u. bei Mondschein statt; Fürsten, Edle u. Freie haben gleiches Stimmenrecht. Es wird nach dem Alter gestimmt. Drei Vorsitzende leiten sie; um sie bilden die Ältesten der Brüderschaften sitzend u. die Brüderschaften hinter ihren Ältesten stehend einen Kreis. Die Rechtspflege findet im Innern der Familie vor Brüderschaften u. Volksversammlungen statt. Streitigkeiten in den Brüderschaften sucht der Hadschi od. Oberrichter zu schlichten; gelingt es ihm nicht, so beruft er Geschworne (Tarkochases), welche wieder einen Vorsitzenden wählen u. den Fall entscheiden. Ein Diebstahl, bes. ein Vieh- od. Pferdediebstahl, wird nur dann bestraft, wenn der Dieb auf der That ertappt worden ist. Unentdeckter Diebstahl in anderen Brüderschaften gilt für ehrenvoll. Vollkommenste Sicherheit des Eigenthums herrscht dagegen innerhalb der Brüderschaft, indem hier der Diebstahl mit dem neunfachen Werth des Gestohlenen u. das dritte Mal mit 300 Ochsen od. dem Tode gestraft wird. Befreundete Brüderschaften dulden auch nicht, daß sie untereinander bestohlen werden. Vor Gericht werden Zeugen verhört u. der Beklagte durch einen eigenen Gerichtsdiener vor- u. abgeführt. Geschriebene Gesetze bestehen nicht, alles wird nach Ermessen der Geschwornen u. nach Herkommen entschieden. Die Blutrache herrscht noch, doch kann der Todtschlag durch Geld gesühnt werden. Die Blutrache erbt beim Bedrohten u. dem Vollzieher vom Vater auf Sohn. Bleibt ein Tscherkesse vor dem Feind, so suchen seine Verwandten einen Feind derselben Nation zu tödten, sonst ist dessen Tod nicht gesühnt. Streng wird der Meineid bestraft. Eide werden auf den Koran geschworen. Je[890] der Tscherkesse liebt das Kriegshandwerk u. betrachtet Kriegszüge als Feste seines Lebens; über die Kriegsverfassung s.u. Tscherkessenkrieg S. 891. Es werden 15 Stämme unter den T. gezählt, welche sämmtlich auf u. an dem Kaukasus u. am Schwarzen Meere wohnen; die größten, 10–12,000 Familien enthaltenden, sind die Abadsechen (Abasech, im Gebirge), Abasechen, Schapsuchen (Schapsik) u. Ubÿken; 5–10,000 Familien enthalten die Kemurchnäer (am Kuban), Nogaier mit den Gunien, Osseten, Kabarden; 200–1500 Familien die Beslenis, Machosch, Pscheduch (Bjeduch), Hattiquä, Schanä, Schegadäh (letztere mehr am Kuban) etc. Andere kennen nur 10 Stämme u. nennen diese Notkesch, Schapsuch, Abatsech, Pseduch, Ubich, Halikeh, Kemkusch, Abasech, Lenelechich u. Kubertech. Wahrscheinlich sind die Bewohner der beiden Kabarda u. Osseten bei letzterm Verzeichniß nicht aufgezählt. Im Ganzen rechnet man 90–100,000 Familien der eigentlichen T. in Transkaukasien, welche etwa 501,000 Personen beider Geschlechter enthalten; während noch etwa 1500 T. in den benachbarten Gouvernements sich aufhalten. Vgl. Reinegg, Historisch-topographische Beschreibung des Kaukasus, Petersb. 1796 f., 2 Bde.; Kupffer, Rapport sur le voyage dans les environs du mont Elbrouz dans le Caucase, ebd. 1830; Charles Belanger, Voyage aux Indes Orientales par le nord de l'Europe, les provinces du Caucase pendant les années 1825–1829; I. A. Güldenstädt, Beschreibung der kaukasischen Länder, umgearbeitet etc. von I. Klaproth, Berl. 1834; Obosrjenije etc. (Übers. der transkaukasischen Provinzen in statistischer, ethnographischer, topographischer u. finanzieller Hinsicht), Petersb. 1836, 4 Bde.; Dubois de Montpereux, Voyage autour du Caucase, chez les Tscherkesses et les Abkhases, Par. 1839, 4 Bde. (deutsch von Külb, Darmstadt 1841), St. Bell, Journal of residence in Circassia, Lond. 1840, 2 Bde.; Forton, La Russie en l'Asie mineure; K. Koch, Reise durch Rußland nach dem kaukasischen Isthmus, Stuttg. 1842; Derselbe, Wanderungen im Orient, Weimar 1846 f., 3 Bde.; Danilewski, Der Kaukasus, physisch, geographisch, statistisch, ethnographisch u. strategisch, Lpz. 1847; Buturlin, Carte du théâtre de la guerre dans les Pays-Caucasiens, Warsch. 1848; Moritz Wagner, Der Kaukasus u. das Land der Kosacken, 2. Aufl. Lpz. 1850, 2 Bde.; Derselbe, Reise nach Colchis, ebd. 1850; Bodenstedt, Tausend u. ein Tag im Orient, Berl. 1850 f., 2 Bde., 3. A. 1859; Czernell, Der Kaukasus u. seine Völkerschaften, Wien 1854; Haxthausen, Transkaukasia, Lpz. 1856; Kolenati, Die Bereisung Hocharmeniens u. Elisabethopols, der Schekinschen Provinz u. des Kasbek im Centralkaukasus, Dresd. 1858; Derselbe, Die Bereisung Circassicus, ebd. 1859, u.a.m.

Schon im Alterthume zeichneten sich die T. als Sychen durch Seeräuberei aus. An der Küste lagen mehre griechische Colonialstädte, als Dorikos, Phanagoria, Bata u. Dioskurias, welche später römisch wurden. Im 12. u. 13. Jahrh. unterwarfen sie die georgischen Könige ihrem Reiche u. von den Georgiern nahmen sie das Christenthum an. 1424 rissen sie sich von den Georgiern los u. verbreiteten sich in die Ebenen am Asowschen Meere u. kamen dadurch mit den Tataren in Berührung. 1555 unterwarf der russische Czar Iwan I. d. Gr. einen Theil der T., nahm die Tochter eines tscherkessischen Fürsten zur Gemahlin u. leistete ihnen gegen die Tataren Hülfe; bald gaben aber die Russen die Oberherrschaft über die T. auf u. die T. wurden nun aus der Krim u. der großen südrussischen Ebene von den Tataren hinter den Kuban gedrängt u. ihnen zinsbar. Doch erhielten sie sich ziemlich unabhängig u. in eigener Verfassung, bis 1704 ein Sieg über die Tataren sie auch von dem Tribut befreite. Um diese Zeit suchte auch Peter d. Gr. die T. zu besiegen, jedoch ebenfalls erfolglos. Der Friede von Kutschuk Kainardschi 1774 u. noch mehr, als sich die Russen 1783 den Kuban zur Grenze nahmen, brachte die Russen wieder mit ihnen in Berührung. Von muhammedanischen Völkern umgeben, hatten sie schon früher den Islam angenommen u. jetzt bewirkte der Widerwille gegen die Russen bei vielen Fürsten u. Stämmen die Bekehrung zum Islam. Bes. wirkte ein muhammedanischer Fanatiker Scheh Mansur in dieser Beziehung viel. Die Türken bauten 1781 die Festung Anapa, u. diese wurde nun der Hauptplatz der T., woher sie Waffen, Salz u. dgl. bezogen. Zwar nahmen die Russen 1807 Anapa, mußten es aber in Folge des Friedens von Bukarest 1812 wieder räumen. Die T. wurden nun von den Türken gegen die Russen gereizt u. unternahmen von jetztan fortwährend Einfälle ins Russische Gebiet. Die Beschwichtigung derselben durch den damaligen Generalgouverneur von Südrußland, Herzog von Richelieu, mittelst angeknüpfter Handelsverbindungen, mißlang. 1824 unterwarfen sich mehre Stämma der T. der Pforte; 1829 durch den Frieden von Adrianopel wurde der Küstenstrich am Schwarzen Meere u. 1834 der Rest von Abchasien, gegen Erlassung eines Theiles der Contribution, im Vertrage zu Petersburg abgetreten. Allein von diesem Jahre an begann die Bevölkerung, welche sich nicht unterwerfen wollte, einen hartnäckigen Krieg gegen die Russen, der noch fortwährt, obwohl seit der Gefangennahme Schamyls in Gunib, am 7. Septbr. 1859, der Hauptkampf der Bergvölker mit den Russen erstickt ist, s. Tscherkessenkrieg. 2) Die Bewohner Tscherkessiens in weiterem Sinne, s. Tscherkessien 2). 3) Uneigentlich die Bewohner des Landes zwischen dem Schwarzen u. Kaspischen Meere.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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