Russisch-Türkischer Krieg von 1853–56

Russisch-Türkischer Krieg von 1853–56

Russisch-Türkischer Krieg von 1853-56. I. Einleitung. Das Übergewicht Rußlands im Orient u. die dadurch entstehende Gefahr für den Bestand des Türkischen Reichs war längst ein Gegenstand der Besorgniß für die europäischen Großmächte gewesen, gleichwohl hatten dieselben die russischen Bestrebungen, wenn auch immer mit Eifersucht betrachtet, doch eher gefördert, als gehemmt. Während nun die Mitte u. der Westen Europas sich seit 1848 in Revolutionen abschwächten, in der Türkei sich die geheime Agitation der Hetärie erneuerte, griechische Priester in den verschiedenen Provinzen des Reichs auf eine allgemeine Erhebung der Griechen gegen die Türken vorzubereiten suchten, wozu noch kam, daß eine alte Prophezeihung die Vertreibung der Türken, nach 400 jähriger Herrschaft, aus Europa auf das Jahr 1853 vorausgesagt haben sollte: glaubte Rußland, die Zeit der Ausführung seines Planes auf die Türkei sei gekommen. Das Vorgehen Rußlands in dieser Angelegenheit wurde durch das Einschreiten Frankreichs u. Österreichs noch beschleunigt. Nämlich Napoleon hatte durch seinen Gesandten in Constantinopel, Lavalette, im März 1852 von der Pforte das Zugeständniß erlangt, daß die Katholiken in der Benutzung der heiligen Stätten zu Jerusalem gleichberechtigt mit den griechischen Christen sein sollten, während bisher diesen große Vorrechte eingeräumt gewesen waren. Dadurch sah sich Kaiser Nikolaus als Oberhaupt aller griechischen Christen an einer sehr empfindlichen Stelle berührt. Als nun auch Österreich zu Anfang 1853 den russischen Bestrebungen in Montenegro (s.d.) entgegentrat u. durch die Sendung des Grafen von Leiningen nach Constantinopel erwirkte, daß der schon begonnene Kampf zwischen den Türken u. den Montenegrinern sofort durch einen Frieden beendet wurde, glaubte Kaiser Nikolaus seinerseits das russische Interesse durch energisches Auftreten wahren zu müssen, sendete Ende Februar 1853 den Fürsten Mentschikow nach Constantinopel u. liest die Forderung des Protectorats Rußlands über alle griechischen Christen im Osmanenreiche stellen. Die Pforte sah sich in großer Verlegenheit u. zog die Verhandlungen hin, bis die gerade abwesenden Vertreter Frankreichs u. Englands im April auf ihre Posten zurückgekehrt waren, von da an aber der Unterstützung der Westmächte versichert, lehnte sie die russischen Forderungen ab. Mentschikow stellte vergeblich ein Ultimatum u. reiste endlich am 21. Mai mit dem gesammten russischen Gesandtschaftspersonal ab. Der Sultan erließ hierauf einen Ferman, worin er den Christen seines Reichs alle ihre Rechte feierlich bestätigte, begann sofort mit Eifer zu rüsten u. suchte in einer Note an die Großmächte seine Vertheidigungsmaßregeln zu rechtfertigen. Aus Petersburg langte noch ein Ultimatum der russischen Regierung (vom 31. Mai) in Constantinopel an, worin die von Mentschikow aufgestellten Forderungen wiederholt u. die in einigen Wochen bevorstehende Überschreitung der türkischen Grenze durch russische Truppen angekündigt war. Die Westmächte, Frankreich u. England, welche inzwischen sich zu gemeinsamem Handeln in der Orientalischen Angelegenheit vereinbart hatten, setzten dieser Drohung Rußlands die Demonstration entgegen, daß sie ihre Flotten von Salamis u. Malta aufbrechen u. am 14. Juni in der Besikabai (bei Tenedos) Anker werfen ließen, wodurch ermuthigt, die Pforte das russische Ultimatum abwies. Hierauf erließ Kaiser Nikolaus am 26. Juni ein Manifest, worin die Besetzung der Donanfürstenthümer angekündigt wurde, nicht um dieselben zu erobern, sondern lediglich um für die Wiederherstell[608] ung der von der Pforte verletzten Rechte Rußlands ein Pfand zu besitzen. Am 2. Juli rückte in Folge dessen Fürst Gortschakow mit 50,000 M. in die Moldau ein, indem der Übergang über den Pruth bei Leowa u. Skuleni bewerkstelligt wurde, u. am 15. Juli langte die Avantgarde dieses Corps in Bukarest an. Gleichzeitig suchte eine russische Note (vom 2. Juli) den Einmarsch in die Donaufürstenthümer durch den Heranzug der westmächtlichen Flotten zu motiviren, wogegen die Westmächte erklärten, nur Rußlands Drohungen u. Vorschreiten gegen die Türkei habe sie genöthigt die Flotten zu senden. Im Übrigen hofften die Westmächte damals noch den Krieg vermeiden u. Rußland durch eine große europäische Coalition zu einem freiwilligen Rückzuge veranlassen zu können, weshalb sie der Pforte riethen die Besetzung der Donaufürstenthümer noch nicht als Casus belli zu betrachten. Die Pforte war zudem auch mit ihren Rüstungen noch nicht in Verfassung u. begnügte sich daher ihre Truppen das rechte Donauufer besetzen zu lassen, während die Russen auf dem linken Ufer stehen blieben. In einer Note vom 14. Juli protestirte die türkische Regierung gegen das russische Beginnen u. rief die Unterstützng der Großmächte an. Um eine Vermittelung des Streites zu versuchen, traten nun die Gesandten Frankreichs, Englands, Preußens u. Österreichs am 24. Juli in Wien zu einer Conferenz zusammen, u. schon am 10. Aug. langte eine von dieser Conferenz entworfene Vermittlungsnote, welcher der Kaiser Nikolaus bereits seine Zustimmung ertheilt hatte, in Constantinopel an, um auch von dem Sultan unterzeichnet zu werden. Der Sultan sollte an den Kaiser von Rußland eine demüthigende Erklärung abgeben u. Alles, was derselbe zum Schutze der Christen verlangte, gewähren, nur das ausschließliche Protectorat Rußlands über die Christen war beseitigt; aber gegen den Inhalt dieser Note erhob sich die Opposition der Alttürken u. Ulemas, Letztere verlangten, der Sultan solle entweder die Unterzeichnung verweigern od. abdanken. So wies denn der Sultan den Vermittlungsvorschlag zurück od. stellte doch Abänderungen in demselben auf, welche nun Rußland seinerseits ablehnte. Am 21. Sept. gelangte diese russische Note nach Constantinopel, u. an demselben Tage warf eine Abtheilung der Flotte der Westmächte ihre Anker vor dem Eingange des Bosporus aus. Die nochmaligen Bemühungen der Gesandten eine Ausgleichung anzubahnen blieben ohne Erfolg, u. am 26. September trat der Divan in feierlicher Sitzung zusammen u. beschloß die Kriegserklärung an Rußland. Dem Befehlshaber der türkischen Armee, Omer Pascha, wurde die Weisung gegeben, an den russischen Commandirenden die Forderung zu stellen, daß binnen 14 Tagen die Donaufürstenthümer geräumt werden sollten, wenn dem jedoch keine Folge gegeben werde, sofort die Feindseligkeiten zu eröffnen.

II. Von der Kriegserklärung der Türken bis zu der Westmächte , 26. Septbr. 1853 bis 28. März 1854. Am 7. October traf der Ferman, welcher die Kriegserklärung enthielt, im türkischen Hauptquartier ein u. am folgenden Tage stellte Omer Pascha an den russischen Obergeneral das Verlangen des Rückzugs aus den Donaufürstenthümern u. gab für den Weigerungsfall die Kriegserklärung. Gortschakow antwortete verneinend. Doch waren weder die Russen in Verfassung, um eine kräftige Offensive aufnehmen zu können, da der Winter vor der Thüre war, zudem auch das Versprechen die Donau nicht zu überschreiten noch band, welches Kaiser Nikolaus in Olmütz u. Berlin gegeben hatte, um sich wenigstens der Neutralität Österreichs u. Preußens zu versichern; noch konnte Omer Pascha mit seiner Armee, welche fast zur Hälfte aus irregulären, wenig geübten Truppen bestand, größere Unternehmungen gegen die Russen wagen. Die Russen hatten damals 65,000 M. in der Walachei, von denen 36,000 M. als Gros in u. bei Bukarest standen, während der Rest in Abtheilungen von 6–7000 M. durch die ganze Walachei von Kalafat bis Galacz zerstreut war. Die türkische Armee zählte vielleicht 130,000 M., von denen 3 Armeecorps zu je 20,000 M. die Donaulinie von der Dobrudscha bis nach Widdin besetzt hielten, während 35,000 M. als Hauptreserve in Schumla standen, eine Reserve von 15,000 M. zur Unterstützung des linken Flügels bei Sophia gesammelt worden war u. der Rest die Besatzungen der festen Plätze an der Donau u. im Balkan bildete. In der Nacht vom 15. auf den 16. October ließ Omer Pascha die zwischen Widdin u. Kalafat liegende Donauinsel besetzen. Fast zu derselben Zeit passirten die Türken im Angesichte Brailas die Donau auf Kähnen u. setzten sich auf einer der dortigen Inseln fest. Zu einem ernstlicheren Zusammenstoß kam es noch nicht, u. die Gesandten in Constantinopel gaben ihre Bemühungen zur Beilegung des Conflicts noch nicht auf. An Omer Pascha wurde der Befehl gesandt, die Feindseligkeiten erst am 1. November zu beginnen, mit dem Hinzufügen jedoch, daß, wenn dieselben schon eröffnet wären, der Befehl nicht binde. Doch dieser Befehl langte erst am 25. October im türkischen Hauptquartier an, nachdem schon zwei Tage zuvor der Kampf thatsächlich begonnen hatte, indem vom türkischen Fort Isaktscha aus am 23. October mit Kanonen auf russische Schiffe geschossen worden war. Nachdem von Sophia die Reserve des linken Flügels in Widdin angekommen war, ließ Omer Pascha bis zum 28. October nahe an 20,000 M. auf das walachische Ufer übersetzen u. begann das Dorf Kalafat mit Befestigungsanlagen zu umgeben. In Folge davon schob auch Fürst Gortschakow Verstärkungen nach der Kleinen Walachei vor. Doch kleine Plänkeleien u. Scharmützel waren das einzige Ergebniß dieser Bewegungen. Gleichzeitig hatte Omer Pascha bei Tuturkai etwa 15,000 M. am rechten Donauufer zusammengezogen, um von hier aus gegen das Centrum der russischen Stellung zu operiren. Am 1. Nov. ließ er hier eine Abtheilung Truppen nach der Donauinsel Mokan übersetzen u. von da nach dem walachischen Ufer bei Oltenitza. Diese Truppen verschanzten sich sofort u. waren bis zum 4. November etwa bis zu 3000 M. angewachsen, als die Russen unter General Pawlow mit 7000 M. einen Angriff auf die Stellung unternahmen, welcher jedoch von den Türken zurückgewiesen wurde. In Folge der üblen Witterung zogen sich aber die Türken am 12. November wieder auf das rechte Donauufer zurück. Unterdessen hatten die Türken auch in Kleinasien die Feindseligkeiten eröffnet, jedoch in entschieden nachtheiliger Weise. Schamyl, auf dessen Mitwirkung große Hoffnungen gesetzt waren, hatte zwar im September einen Ausfall gegen Tiflis gemacht, war aber bald wieder zurückgegangen. Die Türken[609] selbst begannen ihre Operationen erst im October. Ihre Streitkräfte bestanden aus 65,000 M. zumeist irregulären Truppen. Davon stand ein Corps von 25,000 M. unter Selim Pascha bei Batum, das andere unter Abdi Pascha hielt die Straßen von Erzerum nach Alexandropol u. von Erdehan nach Achalzik besetzt. Die Russen, anfangs nur sehr schwach, hatten Verstärkungen herangezogen u. sich in 3 Corps formirt, von denen das eine unter Gagarin in Gurien, das andere unter Andronikow bei Kutais, das dritte unter Bebutow bei Alexandropol sich bildete; eine vierte schwache Abtheilung deckte Eriwan. Am 27. October überfiel Selim Pascha das russische Fort St. Nikolai am Schwarzen Meere u. zu Anfang November schloß eine Abtheilung Abdi Paschas unter Ali Riza Achalzik ein, während eine andere Abtheilung unter Achmet Pascha gegen Alexandropol vorrückte u. Abdi Pascha selbst mit dem Gros von Kars gegen Erdehan marschirte. Als jedoch Achmet Pascha am 14. November bei Bajudur u. nochmals am 1. December bei Basch Kadik Kar von Bebutow u. Ali Riza am 26. November bei Achalzik von Andronikow geschlagen worden waren, befand sich die türkische Armee in völliger Auflösung begriffen. Fast zu gleicher Zeit mit diesen Erfolgen in Kleinasien errangen die Russen auf dem Schwarzen Meere einen Sieg; Admiral Nachimow überfiel am 30. Novbr. im Hafen von Sinope die unter Osman Pascha nach Batum bestimmte türkische Flotte u. vernichtete dieselbe vollständig. Nur ein Dampfer entkam, um die Kunde von der Niederlage nach Constantinopel zu bringen. Die Flotten der Westmächte waren inzwischen Ende October durch die Dardanellen gesegelt u. hatten am 5. November in der Beikosbai im Bosporus Anker geworfen, durften aber nicht ins Schwarze Meer hinausfahren, da die Westmächte noch immer die Hoffnung auf eine gütliche Beilegung des Streites aufrecht erhielten. Es kam also vorläufig nur zu einer abermaligen Conferenz der Großmächte zu Wien (am 20. November) u. am 27. November zu einem Vertrage zwischen den Westmächten u. der Pforte, worin die ersteren der letzteren im Voraus ihren Schutz zusicherten, falls Rußland billige Friedensbedingungen abweisen würde. Am 5. December wurde zu Wien ein neuer Friedensvorschlag zu Stande gebracht, welcher vier Punkte enthielt: möglichst rasche Räumung der Donaufürstenthümer; Erneuerung der alten Verträge; eine Erklärung bezüglich der Fermane zur Verleihung religiöser Privilegien von Seiten der Pforte an ihre nicht muselmanische Bevölkerung, diese Erklärung an die europäischen Großmächte sollte von passenden Zusicherungen für jede einzelne von ihnen begleitet sein; das bereits getroffene Übereinkommen über die heiligen Stätten in Jerusalem sollte endgültig angenommen werden. Doch sowohl die Pforte als auch Kaiser Nikolaus wiesen den Vorschlag zurück. Als nun Ende December für die alliirten Flotten der Befehl angekommen war ins Schwarze Meer hinauszusegeln u. die Admirale dem russischen Befehlshaber Fürst Mentschikow anzeigten, daß sie jedes russische Schiff, welches sie außerhalb der russischen Häfen anträfen, zur Rückkehr in diese veranlassen, jeden Angriff auf türkische Schiffe u. türkisches Gebiet mit Gewalt zurückweisen würden, verlangte Rußland von den alliirten nähere Erklärung darüber, ob auch die türkische Flotte von Angriffen auf russisches Gebiet abgehalten werden würde, u. ob es russischen Schiffen gestattet sein werde Truppen auf eigenem Gebiet mit Proviant u. Kriegsbedarf zu versehen. Da die Alliirten die zweite dieser Fragen verneinend beantworteten, brach Kaiser Nikolaus den diplomatischen Verkehr mit England u. Frankreich ab, diese aber faßten den Beschluß in einem Ultimatum an Rußland die Räumung der Donaufürstenthümer zu verlangen u. im Weigerungsfalle, der Pforte eine Armee von 50,000 M. zu Hülfe u. eine Flotte in die Ostsee zu senden. Bei dieser Gestaltung der Ereignisse mußte dem Kaiser Nikolaus vor Allem daran liegen sich über die künftige Stellung von Österreich u. Preußen zu vergewissern. Mit der Absicht Österreich zu einer strengen Neutra lität zu veranlassen erschien Ende Januar zu Wien der Graf Orlow, der Gesandte in Berlin sollte dort denselben Zweck verfolgen. Beide Staaten jedoch hatten sich durch Unterzeichnung des Wiener Protokolls vom 5. December schon auf die Seite der Westmächte gestellt, sie hatten noch nach dem Einlaufen der Flotten der Verbündeten ins Schwarze Meer, am 13. Januar, ihr Beharren bei den dort ausgesprochenen Grundsätzen erklärt u. lehnten daher die russische Forderung ab. Und da der russische Gesandte auf die Frage des Kaisers von Österreich, ob Rußland sich verpflichten wolle während des Krieges die Donau nicht zu überschreiten u. nach dem Kriege die Donaufürstenthümer zu räumen, eine ausweichende Antwort gab, ertheilte der Kaiser von Österreich am 6. Februar den Befehl zur Aufstellung eines Beobachtungscorps von 25,000 M. unter Coronini an der Grenze Serbiens.

An der Donau hatten die Bewegungen fast gänzlich aufgehört, nur einzelne kleine Zusammenstöße füllten den December 1853 aus. Die Russen hatten neue Truppen herangezogen u. mochten am Schlusse des Jahres 90,000 M. betragen, von denen 50,000 M. als Gros unter Gortschakow die Große Walachei besetzt hielten; den rechten Flügel bildete General Anrep mit 20,000 M. u. mit gleicher Stärke stand General Lüders in der Moldau. Die Türken hatten die frühere Stellung inne; seit dem Gefechte von Oltenitza hatten sie allein bei Kalafat auf dem linken Donauufer festen Fuß behalten. Von hier aus gelang es ihnen am 6. Januar 1854 einen glücklichen Angriff auf den rechten russischen Flügel bei Csetate zu unternehmen. Der russische General Liprandi, welcher an Stelle Anreps das Commando in der Kleinen Walachei übernommen hatte, schloß darauf Kalafat ein; mehr zu unternehmen schien nicht rathsam, da die Österreicher ihr Corps an der Grenze am 23. Febr. auf 50,000 M. verstärkten. Die Folge davon war, daß nun auch der Aufstand der slawischen Serben, Bulgaren u. Bosnier, welcher den Russen den Weg nach Constantinopel öffnen sollte, unterblieb; nur im Süden brachen die griechischen Klephtenführer los, zuerst am 27. Januar 1854 zu Radowitzi in Epirus. Am 7. Februar lief ein großer Theil der Besatzung von Athen den Insurgenten zu, deren vornehmster Anführer Grivas war, allein schon am 10. wurden sie gänzlich bei Arta geschlagen u. flüchteten in die Gebirge. Auch die Erhebungen in Thessalien u. Macedonien hatten keinen Erfolg, gleichwohl stellte sich Tzawellas zu Pata an die Spitze einer provisorischen Regierung des künftigen Byzantinischen Reichs. Diesem Unfug machten erst[610] im April ägyptische Truppen ein Ende, u. am 23. Mai warf eine kleine westmächtliche Flotte im Piräeus die Anker u. landete eine französische Brigade, um dem König von Griechenland die Mittel zu gewähren seine eigenen Unterthanen im Zaume zu hallen. In den Gebirgen hielt sich Hads hi Petru noch eine Zeit lang, blieb aber isolirt. Nachdem Österreich am 22. Februar an Frankreich die Erklärung gegeben hatte, daß es das Verlangen der Westmächte zur Räumung der Donaufürstenthümer von Seiten Rußlands unterstützen werde, sandten am 27. Februar die Westmächte ein Ultimatum an den Kaiser Nikolaus, worin die Räumung der Donaufürstenthümer bis zum 30. April verlangt wurde, u. schlossen am 12. März einen Vertrag mit der Pforte ab, durch welchen sie sich verpflichteten, so viele Hülfstruppen zu stellen, als zum Schutze der Integrität der Pforte nothwendig sein würden, während die Letztere sich verbindlich machte nur mit Wissen u. Zustimmung der Alliirten in Friedensunterhandlungen mit Rußland treten zu wollen. Mit den deutschen Mächten kam eine Convention nicht zu Stande, so sehr auch namentlich Frankreich dieselbe anstrebte, u. obgleich Österreich nicht abgeneigt schien schon jetzt über weitere Schritte in Unterhandlung zu treten, falls die letzten Friedensversuche scheitern sollten. Preußen weigerte sich entschieden an denselben Theil zu nehmen, u. deshalb zog es auch Österreich vor einstweilen von dem Abschluß einer Vereinbarung mit den Westmächten abzusehen. Während nun Rußland durch Baron Meyendorf in Wien von Neuem, aber vergeblich, Friedensvorschläge machen ließ, indem es zu der Räumung der Donaufürstenthümer sich verstehen wollte, sofern die Alliirten zuvor ihre Flotten zurückzögen, war in Petersburg das Ultimatum der Alliirten am 14. März dem Grafen Nesselrode übergeben worden. Eine formelle Antwort folgte gar nicht darauf. So waren denn alle Versuche einer friedlichen Ausgleichung der Differenzpunkte gescheitert u. am 28. März erfolgte die Kriegserklärung Englands an Rußland; der Kaiser von Frankreich hielt eine solche nicht für nothwendig, sondern die in dem Ultimatum enthaltene bedingungsweise für ausreichend. Der Kaiser Nikolaus dagegen hatte sofort den Befehl zur Überschreitung der Donau ertheilt. In 3 Colonnen gingen am 23. März die Russen unter Befehl des General Lüders u. in einer Stärke von 33,000 M. bei Braila, Galacz u. Tultscha über den Strom; fast ohne Widerstand wichen die türkischen Truppen unter Mustapha Pascha auf allen Punkten zurück, u. schon am 2. April stand die Vorhut der russischen Armee am Trajanswall.

III. Von der Kriegserklärung der Westmächte bis zum Beginne der Krimunternehmung, 28. März bis 1. Sept. 1854. Nachdem von Seiten der Westmächte die active Theilnahme an dem Kriege gegen Rußland beschlossen u. ausgesprochen war, beeilten sich dieselben durch einen Allianzvertrag vom 10. April die Vereinbarung zu treffen, daß sie als Zweck des Krieges die Wiederherstellung des Friedens zwischen Rußland u. der Pforte auf sicheren u. dauernden Grundlagen betrachten wollten. Im Schwarzen Meere hatten die Westmächte eine Flotte von 35 Schiffen mit mehr als 2000 Geschützen, eine noch bedeutendere sollte nach der Ostsee gesendet werden; 60,000 M. Landtruppen sollten auf türkisches Gebiet übergeführt werden, um an den Operationen gegen die Russen Theil zu nehmen. Dabei setzten die Alliirten ihre Bestrebungen eifrig fort, die beiden deutschen Mächte zu einer thätigeren Theilnahme gegen Rußland zu vermögen. Schon am 9. April hatten auch Österreich u. Preußen zu Wien ein Protokoll mit England u. Frankreich unterzeichnet, durch welches die vier Mächte sich vereinigten die territoriale Unabhängigkeit der Türken aufrecht zu erhalten u. die bürgerlichen u. persönlichen Rechte der christlichen Unterthanen der Pforte sicher zu stellen. Diesem Protokoll folgte am 20. April der Abschluß eines Schutz- u. Trutzbündnisses zwischen Österreich u. Preußen; wenn Rußland den Balkan überschreite, od. die Donaufürstenthümer förmlich seinem Gebiete incorporire, so wollte man den Krieg erklären. Auf dem Kriegsschauplatze an der Donau hatten die Russen sich bis zum 11. April in den Besitz der ganzen Linie des Trajanswalles gesetzt u. einzelne Kosackenabtheilungen streiften auf den Straßen nach Schumla u. Varna darüber hinaus. Verstärkungen rückten in die Dobrudscha nach u. gleichzeitig sammelte sich ein Truppencorps mit einem Belagerungspark bei Kalarasch, gegenüber Silistria. Die Truppen in der Kleinen Walachei unter Liprandi hoben am 22. April die Cernirung von Kalafat auf u. begannen sich zurückzuziehen. Das Hülfsheer der Westmächte sammelte sich seit Ende März bei Gallipoli, Constantinopel u. am Bosporus. Am 10. Mai marschirte ein Corps von 25,000 M. unter Lüders aus der Dobrudscha am rechten Donauufer aufwärts, um in Verbindung mit dem bei Kalarasch vereinigten Corps, welches schon seit April einige Donauinseln in seinen Besitz gebracht hatte, die Festung Silistria anzugreifen. Ein gegen Basardschik vorgeschobenes Corps deckte die Bewegung auf dem rechten Donauufer gegen die türkische Armee bei Schumla. Am 17. Mai erschien General Lüders vor Silistria, das Corps von Kalarasch schlug eine Brücke über die Donau u. vereinigte sich mit ihm. Sofort wurden die Laufgräben gegen das östliche Fort der Festung, Arab Tabia, eröffnet. Von beiden Seiten wurde mit großer Hartnäckigkeit gekämpft. Die Belagerungsarbeiten überwachte der Fürst Paskewitsch, welcher seit dem 14. April in Jassy angelangt war, um den Oberbefehl zu übernehmen, General Schilder leitete die Ingenieurarbeiten; doch vermochten die Russen nur langsam vorzuschreiten. Mehrere Stürme, welche die Russen unternahmen, wurden von den Türken abgewiesen, dessenungeachtet ließ sich aber mit Bestimmtheit voraussehen, daß die Festung nur durch einen rechtzeitigen Entsatz für die Türken erhalten werden konnte. Doch Omer Pascha hielt sich für zu schwach, um mit einiger Aussicht auf Erfolg die Russen im freien Felde angreifen zu können, u. drang in die Commandirenden der Armeen der Alliirten, St. Arnaud u. Lord Raglan, zu seiner Unterstützung heranzurücken. In Folge dessen wurden Ende Mai u. Anfang Juni 3 französische u. 4 englische Divisionen in die Linie Varna-Schumla vorgeschoben. Die englischen Truppen nahmen am Devnosee bei Pravadi, die Franzosen bei Varna Stellung. Aber noch nicht hinreichend für größere Bewegungen im Felde ausgerüstet, konnten auch diese Truppen während des Juni keineswegs etwas Ernstliches unternehmen. Unterdessen hatte Österreich, welches sich durch seine Beziehungen zu den übrigen Mächten hinreichend gesichert[611] halten konnte, um mit ernsteren Forderungen aufzutreten, am 3. Juni das Verlangen der Räumung der Donaufürstenthümer an Rußland gestellt u. am 14. Juni eine Convention mit der Pforte abgeschlossen, durch welche ihm nach Abzug der Russen das Besatzungsrecht in den Donaufürstenthümern ertheilt wurde. Da nun der Kaiser von Österreich, um seinem Verlangen Nachdruck zu geben, bedeutende Streitkräfte in Siebenbürgen, in der Bukowina u. in Galizien hatte aufstellen lassen, so sah sich Kaiser Nikolaus veranlaßt, um nicht Österreich unter diesen Umständen zur Bundesgenossenschaft mit seinen Gegnern zu zwingen, den Anforderungen desselben nachzugeben. Am 20. Juni begann auf seinen Befehl die Räumung der Donaufürstenthümer u. am 22. wurde die Belagerung von Silistria aufgehoben. Ungestört zogen sich die Truppen über die Donau zurück, Arrieregarden blieben bei Kalarasch u. Giurgewo stehen. Die Truppen aus der Dobrudscha gingen auf Tultscha zurück. Als Omer Pascha aber bei Rustschuk über die Donau ging u. die russische Arrieregarde unter Soimonow am 7. Juli angriff u. zum Rückzug nöthigte, machte das russische Gros sofort wieder Halt. Österreich jedoch trat vermittelnd dazwischen, u. Ende Juli wurde auf allen Punkten der weitere Rückzug der Russen wieder aufgenommen. Bukarest wurde am 21. Juli geräumt u. am 6. Aug. von den Türken besetzt. Anfang September zogen die Österreicher in die Walachei u. Moldau ein. Zu derselben Zeit unternahmen die französischen Hülfstruppen mit einer Division unter General Espinasse einen Zug in die Dobrudscha, auf welchem sie durch das ungesunde Klima, durch Mangel an allem Nothwendigen, namentlich an Wasser, sowie auch hauptsächlich durch die Cholera, welche schon seit einiger Zeit die Truppen der Westmächte verheert hatte, empfindliche Verluste erlitten. Im Schwarzen Meere hatte die große Flotte der Verbündeten nur eine geringe Thätigkeit zu entwickeln vermocht. Der erste kriegerische Act derselben war ein am 22. April versuchtes Bombardement von Odessa. Die Admirale der Verbündeten begnügten sich von da ab die russischen Küsten zu blockiren. Im Mai hatte eine Escadre Redutkatch u. Poti genommen u. diese Punkte besetzt. Als nun Selim Pascha, welcher den linken Flügel der mit gro ßer Anstrengung von Neuem gebildeten türkischen Armee in Anatolien befehligte, diesen Umstand benutzte, um eine Vorwärtsbewegung zu machen u. in das russische Gebiet vorzudringen, gelang es ihm zwar die Russen zum Verlassen von Usurgheil zu zwingen, doch schon im Juni wich er vor dem Fürsten Andronikow wieder zurück u. wurde von demselben an den Ufern des Tschuruk am 16. Juni vollständig geschlagen. Anfang Juli war sodann Schamyl in das russische Gebiet eingefallen, u. erst Ende Juli war es gelungen ihn wieder zu vertreiben. Nun erst konnten die russischen Corps unter Bebutow u. Wrangel, das erstere von Alexandropel, das letztere von Eriwan aus, die früher schon beabsichtigten Vorbewegungen unternehmen. Wrangel forcirte die Araratpässe, schlug am 1. Aug. eine türkische Division bei Kara Bulak, besetzte sodann Bajasid u. nahm ferner auf der Straße nach Erzerum eine Stellung ein, durch welche die Rückzugslinie der türkischen Armee bei Kars bedroht wurde. Als in Folge davon die Türken von Kars aus dem Fürsten Bebutow entgegengingen, erlitten sie am 7. Aug. bei Kurukdere eine vollständige Niederlage. Darauf trat Ruhe ein; die Russen zogen sich auf ihr Gebiet, die Türken mit ihrem Gros nach Erzerum zurück.

Seit der Kriegserklärung der Westmächte war zu den Kriegsschauplätzen an der Donau, im Schwarzen Meer u. in Kleinasien noch ein neuer hinzugekommen. Die Westmächte hatten eine Flotte, welche mehr als 2400 Geschütze trug, nach der Ostsee gesendet, um dort die russische Flotte zu vernichten u. die großen Seebollwerke zu zerstören. Doch die Resultate des Feldzugs blieben hier wie im Schwarzen Meere nur geringe. Schon am 12. März hatte die englische Flotte unter Charles Napier die Rhede von Spithead verlassen u. lief, nachdem sie am 27. März den Sund passirt hatte, in den Hafen von Kiel ein. Von hier segelte sie nach der Klögebucht, um hier das Reservegeschwader unter Admiral Corry u. womöglich die französische Flotte, welche in Brest ausgerüstet wurde, zu erwarten. Nachdem die Nachricht angelangt war, daß die russischen Häfen vom Eise frei seien, stach Napier am 12. April in See u. segelte zuerst nach Stockholm, wo er einen vergeblichen Versuch machte den König von Schweden für das westmächtliche Bündniß zu gewinnen, dann nach Hangö-Udd u. erschien am 4. Juni in Sicht von Sweaborg. Die kriegerische Thätigkeit dieser Periode hatte lediglich darin bestanden, daß man einige russische Küstenfahrzeuge wegnahm u. daß einzelne auf Recognoscirungen ausgesendete Dampfer kleine Gefechte mit den Landbatterien der Russen engagirten, so am 21. Mai in der Bucht von Ekenäs, am 29. Mai mit dem Fort Gustavsvärn u. am 7. Juni an der Hafenstadt Gamla Karleby. Die französische Flotte, welche am 19. April unter Admiral Parseval-Dechênes von Brest ausgelaufen war, hatte erst am 10. Mai den Belt passirt u. war nach kurzem Aufenthalte zu Kiel am 13. Juni unweit Sweaborg in Barösund mit der englischen zusammengestoßen. Die Admirale brachen alsbald mit den vereinigten Flotten auf u. langten am 24. Juni vor Kronstadt an. Ohne jedoch etwas unternommen zu haben, segelten sie Anfang Juli nach Barösund zurück u. von da am 18. Juli nach den Ålandsinseln, um daselbst die französische Division Landtruppen unter Baraguay d'Hilliers zu erwarten, welche seit 15. Juli in Boulogne nach der Ostsee eingeschifft war. Die größeren Seefestungen hatten sich als unangreifbar erwiesen, man wollte sich daher begnügen die Ålandsinseln in Besitz zu nehmen u. zu dem Ende nach Ankunft der Landtruppen die Werke von Bomarsund zerstören. Am 8. Aug. wurden Truppen mit Belagerungsgeschützen gelandet, in der Nacht vom 11. auf den 12. begannen die Belagerungsarbeiten u. nachdem unter Mitwirkung der Flotten die vorgeschobenen Thürme zerstört worden waren, mußte sich am 16. die Festung ergehen. Die Besatzung, etwa 1500 Mann, wurde kriegsgefangen nach England u. Frankreich gebracht, die Werke Bomarsunds gänzlich gesprengt. Die vereinigte Flotte nahm noch verschiedene Recognoscirungen vor u. beschäftigte sich mit der Blockade der russischen Häfen. Als der Winter herannahte, verließ erst das französische, dann auch das englische Geschwader die Ostsee. Um die Russen überall zu drängen, waren auch einige englische Schiffe nach dem nördlichen Cismeer gesendet worden u. hatten Archangel blockirt u. den Hafen von Kola zerstört, noch andere Schiffe hatten an der Küste von Kamtschatka den Hafen Petropawlowsk angegriffen,[612] jedoch ohne Erfolg. Inzwischen hatten Österreich, Frankreich u. England sich am 8. Aug. abermals über vier Punkte geeinigt, welche man als Friedensbasis dem Kaiser Nikolaus vorlegen wollte, diese waren: Sicherung der Integrität der Pforte, Aufhebung des Protectorats Rußlands über die Donaufürstenthümer, gemeinsame Sicherstellung der Rechte der christlichen Unterthanen der Pforte u. freie Donauschifffahrt. Preußen lehnte es ab diesem Übereinkommen sich anzuschließen u. Kaiser Nikolaus wies die in den 4 Punkten gebotene Grundlage als unverträglich mit seiner Ehre ab.

IV. Vom Beginn der Krimunternehmung bis zum Wiener Vertrag (1. Septbr. bis 2. Decbr. 1854). Seitdem Österreich durch die Besetzung der Donaufürstenthümer sich gewissermaßen zwischen die streitenden Parteien geschoben u. dieselben getrennt hatte, galt es für die Truppen der Alliirten, welche im Übrigen durch Krankheiten, namentlich in Varna, sehr bedeutende Verluste erlitten hatten, ein neues Angriffsobject aufzusuchen. Man hielt in Varna einen Kriegsrath u. beschloß eine Expedition nach der Krim, um daselbst die Seefestung Sewastopol u. die russische Flotte zu zerstören. Am 4. Sept. verließen die Engländer, am 5. die Franzosen u. Türken den Hafen von Varna. Die Gesammtzahl der Truppen, welche für die Landung auf der Krim bestimmt waren, betrug 65,000 Mann. Davon zählten in 4 Divisionen mit 72 Geschützen die Franzosen unter Marschall St. Arnaud 32,000 M., die Engländer in 5 Divisionen mit 24 Geschützen u. 10 Schwadronen Cavallerie unter Lord Raglan 26,000 M., die Türken 7000 M. Diese Armee führte 5000 Pferde, 80 Belagerungsgeschütze u. auf 39 Tage Proviant mit sich. Die Flotte zählte einschließlich von 80 Dampfern 150 Kriegsschiffe u. 600 Transportfahrzeuge. Am 9. Sept. hatten sich beide Flotten vereinigt u. am 14. wurde südlich von Eupatoria in der Kalamitabai die Landung der Truppen begonnen. Vier Tage waren nöthig, um die ganze Armee mit ihrer Feldausrüstung ans Land zu bringen. Nachdem am 15. Eupatoria besetzt worden war, brachen die Verbündeten am 19. auf, um südwärts nach Sewastopol vorzudringen. Der russische Befehlshaber, Fürst Mentschikow, hatte auf den Höhen, welche das südliche Ufer der Alma begleiten, Stellung genommen, seine Gesammtstärke betrug 35,000 M. mit 96 Geschützen. Sewastopol hatte der Fürst den Mannschaften der Flotte anvertraut u. nur einige Bataillone Infanterie waren außerdem zur Besetzung der nördlichen Werke zurückgeblieben. Nachdem am 19. Sept. die englische Cavallerie unter Cardigan ein unbedeutendes Plänkergefecht mit den Russen bestanden hatte, bezog die Armee der Alliirten für die Nacht die Stellung am Bulganakslusse. Am 20. Morgens erfolgte der Angriff auf die russische Armee an der Alma. Von beiden Seiten wurde mit äußerster Anstrengung gekämpft, endlich mußte jedoch Fürst Mentschikow der überlegenen Anzahl u. Bewaffnung der Alliirten das Feld überlassen. Auf beiden Seiten hatte man schwere Verluste zu beklagen. Fürst Mentschikow zog sich in vollkommener Ordnung zurück, zunächst nach Sewastopol, wo er die Vertheidigungsmaßregeln anordnete, den Hafen durch Versenkung von Schiffen verschloß u. die Besatzung verstärkte, u. marschirte in der Nacht vom 24. zum 25. September nach Baktschisarai, um sich hier mit den heranrückenden Verstärkungen zu vereinigen. Die Alliirten waren erst am 23. von der Alma aufgebrochen, fanden jedoch die Werke der Nordseite von Sewastopol zu stark, um sie durch einen Handstreich nehmen zu können, u. hatten daher in einem Kriegsrathe, welchem der zum Tod erkrankte St. Arnaud noch beiwohnte, beschlossen sich auf dem Plateau im Süden Sewastopols festzusetzen u. den Angriff auf die Stadtseite der Festung zu richten. Ohne von den Russen belästigt zu werden, marschirten die Alliirten um die Bucht von Sewastopol herum u. begannen die Vorbereitungen zur Belagerung zu treffen, indem sich die Engländer in Balaklawa, die Franzosen, jetzt unter Befehl des Generals Canrobert, an der Kamieschbucht festsetzten. Mentschikow war auf die Nachricht hiervon wieder in die Nähe der nördlichen Werke vorgerückt u. hatte die Besatzung noch um einige Bataillone verstärkt. Den Belagerungsarbeiten stellten sich, namentlich auch durch die Bodenbeschaffenheit, große Schwierigkeiten in den Weg, u. erst am 17. Oct. waren die Batterien der ersten Parallele so weit gediehen, daß das Feuer gegen die Stadt eröffnet werden konnte. Doch die Russen hatten unter Leitung des Obristlieutenant Totleben die Anfangs sehr geringen Werke der Festung in den verflossenen beiden Wochen bedeutend verstärkt u. erwiderten das Feuer kräftig. Die Flotte aber, welche das Bombardement auf die Stadt unterstützen sollte, wurde von den Seeforts bald zum Rückzug genöthigt. Der Plan, nach dem Bombardement mit allen Kräften die Stadt zu stürmen, mußte demnach aufgegeben werden. Das Feuer der folgenden Tage hatte ebenso geringe Wirkung, die Russen stellten die beschädigten Werke nicht nur sofort wieder her, sondern fügten noch beständig neue verstärkende Anlagen hinzu. Inzwischen waren die Verstärkungen der Russen theilweise angekommen. Mentschikow ließ daher am 25. Oct. die Stellung der Engländer bei Balaklawa durch den General Liprandi mit 18,000 M. angreifen. Die Engländer erlitten große Verluste, namentlich blieb ihre gesammte Cavallerie auf dem Schlachtfelde. Um sich gegen solche Offensivstöße zu schützen, legten nun die Alliirten starke Schanzen gegen Tschórgun hin u. auf dem Sapunberge an, nur gegen Inkerman hin hatte man sich mit einigen schwachen Werken begnügt. Bis Anfang November waren auf beiden Seiten namhafte Verstärkungen angelangt, so daß die Verbündeten etwa 70,000, die Russen etwa 82,000 M. zählten. Fürst Mentschikow beschloß daher eine abermalige Offensivunternehmung u. ließ am 5. Nov. mit 31,000 M. unter den Generalen Dannenberg, Soimonow u. Pawlow den rechten englischen Flügel bei Inkerman angreifen. Unterstützt wurde dieser Angriff durch einen Ausfall aus Sewastopol u. durch eine Bedrohung Balaklawa's durch Fürst Gortschakow, welcher an Liprandi's Stelle getreten war. Schon waren die Engländer geschlagen, als der französische General Bosquet die Russen, welche schlecht geführt worden waren, anfiel u. nach schweren Verlusten zum Rückzug nöthigte. Durch diese Angriffe der Russen theilweise, noch mehr aber in Folge der nun eingetretenen ungünstigen Witterung, geriethen die Belagerungsarbeiten fast gänzlich ins Stocken, nur die Franzosen rückten den angegriffenen Werken näher u. hatten am 1. Nov. die Batterien der zweiten Parallele eröffnet u. einige Tage später den Bau der dritten Parallele u. der Breschbatterien begonnen, Aber[613] auch die Russen hatten ihre Werke verstärkt u. hinter der ersten eine zweite u. eine dritte Vertheidigungslinie, dazu zahlreiche neue Batterien, Verhaue, Wolfsgruben u. Fladderminen angelegt. So war ein Winterfeldzug unvermeidlich geworden. Darauf waren die alliirten Armeen aber weder mit ihren Bekleidungen, noch mit ihren Lagereinrichtungen vorbereitet, die Truppen hatten daher große Beschwerden zu ertragen, noch vermehrt durch einen Orkan, welcher am 14. Nov. fast ihr ganzes Lager zerstörte u. auch der Flotte empfindliche Verluste verursachte. Die Folge war eine außerordentliche Sterblichkeit im Lager. Die Lazarethe waren überfüllt u. immerwährend gingen Schiffe voll Kranker nach Constantinopel ab; die Engländer waren der Zahl nach bis zu einer französischen Division zusammengeschmolzen. Die geringe Thätigkeit, zu welcher die alliirten Feldherren unter diesen Umständen sich genöthigt sahen, wirkte niederbeugend auf den Geist der Truppen ein, u. man suchte durch die Aussicht auf einen baldigen entscheidenden Sturm den Muth aufrecht zu erhalten. Erst Anfang December vermochten die Alliirten die Arbeiten in den Trancheen wieder aufzunehmen. In den europäischen Cabinetten herrschte in dieser Zeit immer noch die lebhafteste Bewegung, um den Streit wo möglich auf diplomatischem Wege beizulegen, denn der Krieg forderte ungeheuere Opfer u. einen namhaften Vortheil konnte er in keinem Falle einer der Parteien gewähren, seitdem die deutschen Mächte durch die Räumung der Donaufürstenthümer befriedigt waren. Den Truppenaufstellungen Österreichs hatte Rußland die Zusammenziehung ansehnlicher Streitkräfte in Polen entgegengesetzt. Österreich sah sich dadurch bedroht u. suchte Preußen aus seiner unbedingten Neutralität herauszuziehen. Preußen begnügte sich jedoch vorerst an Rußland die dringendere Mahnung zur Nachgiebigkeit zu richten, u. als das russische Cabinet hierauf in seiner Note vom 6. Nov. ablehnend antwortete, unterzeichnete Preußen am 26. Nov. einen Zusatzartikel zum Bündnisse vom 20. April u. erkannte die vier Punkte als Grundlage der Friedensunterhandlungen an, Österreich aber näherte sich den Westmächten noch mehr u. ging am 2. Dec. ein förmliches Schutz- u. Trutzbündniß mit ihnen ein. Nun sah sich Rußland zur Nachgiebigkeit genöthigt u. ließ schon am 28. Nov. in Wien anzeigen, daß es die vier Punkte als Ausgangspunkte zu Friedensunterhandlungen annehmen wolle.

V. Vom Wiener Vertrag bis zur Eröffnung der Friedensconferenzen 2. Dec. 1854 bis 15. März 1855. Nachdem Österreich von dem Abschlusse des Decembervertrages an Rußland u. von der Bereitwilligkeit des Kaisers Nikolaus auf Grundlage der vier Punkte in Friedensunterhandlungen zu treten, an Frankreich u. England officielle Mittheilung gemacht hatte, traten am 28. Dec. zu einer Conferenz in Wien der Graf Buol für Österreich, Graf Westmoreland für England, Baron Bourqueney für Frankreich u. Fürst Gortschakow für Rußland zusammen, um zunächst eine Auslegung der vier Punkte für spätere Unterhandlungen festzustellen. Bourqueney redigirte ein Programm, in welchem die Auffassung der vier Punkte im Sinne der Decemberverbündeten festgestellt war; Gortschakow stellte eine russische Fassung dem gegenüber. In Bezug auf die beiden Punkte, welche Österreich zunächst näher berührten (Aufhebung des ausschließlichen Protectorats über die Donaufürstenthümer u. freie Donauschifffahrt), erkannte Rußland die Auffassung der Alliirten im Allgemeinen an. Der dritte Punkt jedoch, wegen Untersuchung u. Abänderung des Vertrages vom 13. Juli 1841, um das Bestehen des Ottomanischen Reiches vollständiger mit dem europäischen Gleichgewicht zu verknüpfen u. dem Übergewicht Rußlands im Schwarzen Meer ein Ende zu machen, wurde von beiden Parteien ganz verschieden aufgefaßt, indem die Verbündeten ein zu treffendes Ablonmen erst von dem Gange der Kriegsereigniss, abhängig machen wollten, Rußland aber die Bedingung aufstellte, daß unter den gewählten Mitteln keines sein dürfe, welches den Souveränetätsrechten des Kaisers Eintrag thäte. Auch über den vierten Punkt, Sicherstellung der Rechte der christlichen Unterthanen der Pforte, stimmten die Fassungen nicht zusammen. Die Verbündeten bezogen sich in ihrer Auslegung wesentlich auf den guten Willen u. die edelmüthigen Absichten der Pforte; Rußland aber verlangte, daß die Pforte zur Bestätigung u. Erhaltung der religiösen Privilegien der christlichen Gemeinschaften ernstlich angehalten werde. Nachdem Fürst Gortschakow hierüber in Petersburg angefragt hatte, erklärte er am 7. Jan. 1855, daß er ermächtigt sei dem Entwurfe der Verbündeten unbedingt beizutreten. Solchergestalt war nun zwar eine Basis für die Friedensunterhandlungen gewonnen, dennoch aber verzögerte sich deren wirkliche Eröffnung bis zum 15. März. Preußen war zwar einige Tage vor den Abschluß des Decembervertrages über denselben in Kenntniß gesetzt worden, fand sich aber durch das einseitige Vorgehen Österreichs verletzt u. lehnte daher, als ihm die Verbündeten die Aufforderung zum Beitritt sendeten, denselben ab, setzte sich dagegen in London u. Paris in directe Verbindung mit den Westmächten, namentlich um nicht von den bevorstehenden Friedensconferenzen ausgeschlossen zu werden. Österreich, welches für sich den Ausbruch des Krieges als nahe bevorstehend betrachtete, wollte sich die Flanke decken u. zeigte daher Preußen an, daß es eine theilweise Mobilisirung der deutschen Bundesarmee beantragen werde; Preußen machte dagegen Einwendungen u. erhob zugleich seinen Anspruch zur Theilnahme an den Friedensconferenzen, welchen die Alliirten jedoch zurückwiesen. Als endlich Österreich auf eigene Hand hin Schritte bei dem Deutschen Bunde thun wollte, Preußen aber sich dagegen verwahrte, trat Baiern vermittelnd auf, u. am 8. Febr. kam ein Beschluß des Deutschen Bundes zu Stande, welcher eine erhöhte Kriegsbereitschaft der ganzen Bundesarmee anordnete. Dabei ging jedoch Österreich von der Voraussetzung aus, daß man nur gegen Osten Front mache, die übrigen deutschen Staaten aber u. namentlich Preußen, daß die Front auch gegen Westen gerichtet sei. So hatte Österreich nur wenig Aussicht seine Pläne unterstützt zu sehen. Auch die Westmächte suchten Allianzen u. Hülfstruppen, u. am 26. Jan. trat Sardinien ihnen bei mit dem Versprechen 15,000 M. nach der Krim zu senden, worauf es von Rußland die Kriegserklärung erhielt, während die Versuche eine deutsche Legion für England, eine schweizerische für Frankreich zu werben nur einen geringen Erfolg hatten. Preußen hatte inzwischen mit seinen Verhandlungen in London u. Paris zu gar keinem Resultate zu gelangen vermocht u. dieselben am 30, März abgebrochen.[614] Während sich dadurch die Spannung zwischen den beiden deutschen Großmächten noch steigerte, ordnete zugleich Frankreich, welches sich bei der preußischen Auffassung des Zweckes der erhöhten Kriegsbereitschaft der deutschen Bundesarmeebedroht glaubte, am 1. März die Bildung einer Ostarmee an. In England hatten die Nachrichten über den kläglichen Zustand der Armeen in der Krim große Aufregung erzeugt, u. zu Ende des Januar war von Roebuck im Parlamente der Antrag auf Untersuchung der Kriegsverwaltung eingebracht worden (s. Großbritannien S. 707). Zu der bevorstehenden Eröffnung der Friedensconferenzen wurde John Russel nach Wien gesendet. Als dieser durch Paris kam, herrschte daselbst eine große Aufregung, welche ihren Grund in einer kurz vorher erschienenen Broschüre haben mochte (welche die Krimexpedition scharf tadelte u. den aus der Krim heimgekehrten Prinz Napoleon zum Verfasser haben sollte), mehr aber wohl durch die Kunde herbeigeführt war, daß sich Kaiser Napoleon selbst nach der Krim begeben wollte, um die Kriegsführung energischer zu betreiben. In Rußland war am 2. März Kaiser Nikolaus plötzlich verstorben, u. sein Nachfolger Alexander II. gab in seinem Thronmanifeste kund, daß er bei der Politik seines Vaters verharren werde, u. ließ am 7. März die Vollmachten der russischen Conferenzgesandten in Wien erneuern, wo am 15 März die von den betheiligten Mächten bestimmten Mitglieder zum förmlichen Beginne der Verhandlungen zusammentraten. Österreich war dabei durch den Grafen Buol-Schauenstein u. v. Prokesch, Frankreich durch den Baron Bourqueney, England durch Lord John Russel u. den Grafen Westmoreland, die Türkei durch Arif Effendi, welchem jedoch bald noch Ali Pascha an die Seite treten sollte, Rußland durch den Fürsten Gortschakow u. von Titow vertreten. Preußen war nicht betheiligt, hatte aber seinen Anspruch auf Theilnahme keineswegs aufgegeben.

VI. Der Krieg in der Krim u. die Kriegsrüstungen bis Ende April 1855. Auf dem Kriegsschauplatze in der Krim war während des Winters die Thätigkeit der Armeen eine sehr beschränkte geblieben. Die Russen hatten ihre Feldarmee in weitere Quartiere u. mehr rückwärts nach Simpheropol gelegt u. auch das Corps des Fürsten Gortschakow von Tschórgun über die Tschernaja zurückgezogen. An Stelle Dannenbergs war der General Sacken getreten u. hatte die specielle Oberleitung der Vertheidigung Sewastopols übernommen. Osten-Sacken entfaltete große Thätigkeit; theils ließ er eifrig an der Vervollkommnung der Befestigungswerke arbeiten, Contreapprochen u. Schützengräben anlegen, theils suchte er durch häufige nächtliche Ausfälle dem Feinde Abbruch zu thun u. denselben zu ermüden. Die hauptsächlichsten dieser Ausfälle fanden statt: in der Nacht vom 10. auf den 11. Dec., vom 20. auf den 21. Dec., am 31. Dec., in der Nacht vom 12. zum 13. Jan. u. in der vom 14. zum 15., ferner am 20. Jan. u. am 1. Febr. Doch wenn die anhaltend ungünstige Witterung seit Mitte December schon den Russen empfindlich war, so war das noch weit mehr bei den Alliirten der Fall. Die Lagereinrichtungen boten nicht hinreichenden Schutz, oft fehlte es am Nothwendigen, namentlich an Holz u. warmen Kleidern, Cholera, Typhus u. kaltes Fieber rafften viele Menschen hin. Namentlich hatten die Engländer u. Türken, sehr gelitten; von den 50,000 Engländern, welche nach u. nach auf der Krim gelandet, waren um die Mitte des Januar nur noch 12,000 M. übrig, die Cavallerie hatte ganz aufgehört zu existiren u. ein Theil der früher von den Engländern besetzten Angriffswerke mußte den Franzosen überlassen werden. Erst im Februar wurden die Verhältnisse besser, namentlich seitdem durch die Anlage einer Eisenbahn von Balaklawa nach dem Lager die Lagerbedürfnisse leicht herbeigeführt werden konnten. An eine Fortführung der Belagerungsarbeiten hatte unter solchen Umständen nur wenig gedacht werden können, sie wurden erst Anfang Januar, als das Wetter besser wurde, wieder begonnen. Den Hauptangriff hatte man bisher gegen die Stadtseite von Sewastopol gerichtet; als am 27. Jan. 1855 im Lager der französische General Niel angekommen war, trat auf dessen Rath die Änderung ein, daß man nun hauptsächlich die Schiffervorstadt angriff. Die Franzosen zählten in dieser Zeit in neun Divisionen etwa 70,000 M., die Engländer 25,000, die Türken 15,000 M., u. die Zahl der russischen Truppen mochte annähernd dieselbe Stärke erreichen. So energisch die Franzosen auch die Angriffsarbeiten betrieben, kamen sie doch nur langsam vorwärts u. vermochten es nicht zu hindern, daß die Russen, bes. zur Verstärkung der Schiffervorstadt, neue Werke anlegten. Die von den Franzosen unternommenen Angriffe auf diese Werke am 24. Febr. u. 18. März schlugen die Russen ab; außerdem fuhren die Russen fort die Angreifer durch nächtliche Ausfälle zu quälen u. die Trancheen zu zerstören. An Mentschikows Stelle hatte am 20. März Fürst Gortschakow das Commando übernommen. Seitdem Österreich die Donaufürstenthümer besetzt hatte u. Rußland auf dieser Seite gewissermaßen schützte, hatte die russische Armee in der Krim um so stärkeren Zuzug erhalten können. Die Alliirten hatten daher Anfangs den Plan gehabt, durch eine Diversion nach Bessarabien die russischen Streitkräfte dort festzuhalten, gaben jedoch diesen Plan wieder auf, dagegen führte Omer Pascha 30,000 Mann türkische Truppen, welche bisher an der Donau u. im Balkan gestanden hatten, nach Eupatoria über, welches von französischen Ingenieuren in einen starken Waffenplatz umgeschaffen worden war, um von hier aus die Verbindung der Russen mit Perekop zu bedrohen. Anfang April jedoch, nachdem ein Angriff der Russen auf Eupatoria am 17. Febr. von den Türken zurückgeschlagen worden war, wurde ein großer Theil der Truppen Omer Pascha's zur Belagerungsarmee herangezogen u. deshalb nach Balaklawa übergeführt. Inzwischen mochten in Folge der Eröffnung der Friedensconferenzen in Wien die westmächtlichen Regierungen ihre Anführer drängen einen Erfolg herbeizuführen, der bei Feststellung des dritten Punktes mit in die Wagschale gelegt werden konnte. Die verbündeten Generale ließen daher den Angriff auf Sewastopol mit erhöhter Kraft aufnehmen u. bes. wieder gegen die Stadtseite richten. Vom 9._– 23. April wurde die Stadt aus mehr als 500 Geschützen ununterbrochen bombardirt, ohne daß es gelungen wäre die russischen Batterien zum Schweigen zu bringen; vor den Bastionen 4 u. 5 fanden in dieser Zeit heftige Kämpfe statt, namentlich um den Besitz des daselbst gelegenen Kirchhofes; die Franzosen gewannen etwas Terrain, nahmen einige kleine russische Werke u. trieben gegen Bastion 4 ihre Minen vor, doch vermochten die Russen ihre Hauptwerke zu halten[615] u. durch Anlage von Contreminen auch das unterirdische Vordringen der Franzosen aufzuhalten. Da jedoch sprengten Anfang Mai die Franzosen eine Anzahl Minentrichter u. benutzten dieselben zur Anlage einer vierten Parallele, die Russen aber legten wiederum neue Erdwerke zur Verstärkung an. Von noch geringerem Erfolge waren die französischen Anstrengungen gegen die Werke der Schiffervorstadt u. die Angriffe der Engländer auf Bastion 3. Trotzdem daß durch die Bereitwilligkeit Rußlands, auf Grund der vier Punkte zu unterhandeln, die Aussicht auf Frieden wenigstens einigermaßen gewonnen haben mußte, hatten dennoch die am Kriege betheiligten Mächte mit äußerster Kraftanstrengung die Rüstungen für denselben betrieben. In England suchte man durch Einziehung der Milizen Linienregimenter verwendbar zu machen, dann ließ man in Deutschland, der Schweiz u. Nordamerika Werbungen veranstalten; der Vertrag mit Sardinien sollte ein Truppencorps von 15,000 M. zuführen u. durch Übereinkunft vom 12. März verpflichtete sich die Türkei, 15,000 M. Linie u. 5000 M. Reserve in englische Dienste u. unter einen englischen General zu stellen. Auch Frankreich vermehrte seine Truppen, bildete zwei neue Regimenter, dann für jedes der 100 Linienregimenter ein viertes Bataillon. Schon zu Anfang des Jahres 1855 war daher der Beschluß gefaßt worden bei Constantinopel eine Reservearmee zu bilden, welche aus einer französischen Infanteriedivision, einer Cavalleriedivision, dem Piemontesischen Hülfscorps u. den türkischen Truppen in englischem Solde zusammengesetzt u. bei Maslak vereinigt werden sollte. Schon Anfang März hatten in Frankreich die Einschiffungen für dieses Lager begonnen. Noch größere Anstrengungen hatte Rußland gemacht; es hatte die Reserve- u. Ersatzbataillone seiner Regimenter formirt, den größten Theil der irregulären Corps mobilisirt u. seit 11. Febr. 1855 auch angeordnet, daß ein Theil der Reichswehr (Druschinen) gebildet wurde. Um den fühlbaren Mangel an Offizieren zu beseitigen, wurden die jungen Leute auf den Universitäten u. in den höheren Gymnasialklassen im Frontedienste der Infanterie unterwiesen.

VII. Die Friedensconferenzen. Obwohl sich schon bei der Eröffnung der Friedensverhandlungen verschiedene Auffassungen bei den Vertretern der Mächte zeigten, namentlich indem Frankreich, unterstützt von England u. der Türkei, erklären ließ, daß es sich das Recht vorbehalte auch über jene 4 Punkte hinaus Bedingungen stellen zu dürfen, kam man dennoch bezüglich der beiden ersten Punkte (die Donaufürstenthümer u. die Donauschifffahrt betreffend) schon am 19. u. 23. März zu einer Verständigung. Als nun jedoch bezüglich des dritten Punktes (Revision der älteren Verträge) am 26. März den Vertretern Rußlands die Aufgabe gestellt wurde mit Vorschlägen die Initiative zu ergreifen, lehnten dieselben diese Zumuthung ab u. wollten erst neue Instructionen in Petersburg einholen. Dadurch trat eine Unterbrechung der Verhandlungen ein, während welcher der französische Minister des Auswärtigen Drouyn de Lhuys u. Ali Pascha zur Theilnahme an den Conferenzen in Wien anlangten. Erst am 17. April waren die russischen Instructionen angelangt u. am 19. wurden die Conferenzen wieder eröffnet. Als die russischen Bevollmächtigten auch jetzt noch sich weigerten die Initiative zu ergreifen, so trat Frankreich mit Vorschlägen hervor, welche von England u. Österreich unterstützt, von den russischen Bevollmächtigten dagegen abgelehnt wurden. Darauf erklärte Russel seine Vollmachten für erschöpft, u. nachdem Graf Buol am 26. April noch einen Ausgleichversuch gemacht hatte, ohne daß eine Verständigung hätte erzielt werden können, wurden die Verhandlungen vorläufig geschlossen. Der Hauptgrund des Scheiterns der Verhandlungen war die Behandlung der Pontusfrage gewesen. Rußland glaubte es mit seiner Ehre unverträglich sich eine Beschränkung seiner Flotte auf dem Schwarzen Meere dictiren zu lassen, Österreich wollte jedoch auch jetzt noch den Versuch zu friedlicher Beilegung des Streites nicht aufgeben u. machte den westmächtlichen Gesandten neue Vorschläge (die Alliirten sollten entweder das Recht haben eine der russischen Flotte gleich starke Schiffszahl im Pontus zu stationiren, od. die russische Flotte sollte ihren Bestand bei Beendigung des Krieges als künftiges Maximum betrachten), welche es als ein Ultimatum an Rußland bringen u. im Falle des Verwerfens derselben Rußland den Krieg erklären wollte. Indeß England u. Frankreich lehnten diese Ausgleichung ab u. erklärten sich für energische Fortführung des Krieges. In Folge davon trat in dem Verhältnisse der Westmächte zu Österreich eine gewisse Verstimmung u. Entfernung ein. Rußland hatte zuerst durch eine Note vom 30. April die deutschen Höfe, dann am 10. Mai durch eine Circulardepesche an alle seine Gesandten die öffentliche Meinung Europa's für sich zu gewinnen gesucht u. die Schuld des Scheiterns der Friedensunterhandlungen auf die Westmächte geschoben. Dadurch wurde aber die Gereiztheit zwischen beiden Parteien noch gesteigert u. zugleich auch das an sich schon wenig gute Verhältniß zwischen Österreich u. Preußen zu einer wirklichen Differenz erhoben. Österreich, welches allein noch an dem Friedenswerke mit Ernst zu arbeiten schien, hatte seine vorher nur mündlich gemachten Vorschläge am 21. Mai noch einmal schriftlich wiederholen lassen u. legte sie in einer Conferenzsitzung am 4. Juni vor, dieselbe hatte jedoch keinerlei Resultat, da die Gesandten der Westmächte ohne Instructionen waren u. demnach auch Fürst Gortschakow nicht auf eine Erörterung des österreichischen Vorschlages eingehen konnte, obwohl er anzeigte, daß er den Vorschlag seiner Regierung zur Beachtung unterbreiten werde. Die Friedensverhandlungen hatten damit ihr definitives Ende erreicht, u. Österreich trat nun in eine abwartende Stellung u. ordnete sofort eine bedeutende Reduction seiner Armee an.

VIII. Die kriegerischen Ereignisse vor Sewastopol u. auf dem Schwarzen Meer von Anfang Mai bis zur Einnahme der Südseite (8. September). Als die Cabinete von Paris u. London nach der Sitzung vom 26. April nicht mehr im Zweifel sein konnten, daß die Friedensverhandlungen keinen Erfolg haben würden, hatten sie den Befehl erlassen die Kriegsoperationen mit gesteigertem Nachdruck fortzuführen. In Folge dessen zog General Canrobert die am Bosporus stehenden französischen Truppen in den Tagen vom 12._– 16. Mai nach der Krim, wodurch die französische Armee eine Stärke von etwa 100,000 M. mit 240 Feldgeschützen erhielt. Gleichzeitig, am 12. Mai, langte auch das sardinische Hülfscorps, etwa 15,000 M., welches am 24. April von Genua abgesegelt war, zu Balaklawa u. Kamiesch an; die[616] Engländerzählten 30,000 M. mit 60 Feldgeschützen, u. die Stärke der Türken betrug 25,000 M., so daß die gesammten Kräfte der Alliirten sich auf etwa 170,000 M. beliefen. Diese Macht konnte hinreichend erscheinen, um entscheidende Schläge zu führen. Von London, namentlich aber von Paris aus drängte man zur Anwendung eines förmlichen Sturmsystems auf Sewastopol. In dem am 13. Mai deshalb zusammenberufenen Kriegsrathe sprach sich der französische Oberfeldherr gegen die Thunlichkeit dieses Planes aus, u. da der General Pelissier dafür sprach, bat der Erstere um Enthebung vom Obercommando u. schlug zu seinem Nachfolger den Letzteren vor, welcher am 19. Mai den Befehl auch übernahm. Auch die Russen hatten sich wesentlich verstärkt, indem sie theils durch Reservetruppen die gelichteten Abtheilungen wieder vollzählig machten, theils neue Divisionen heranzogen, u. mochten im Mai etwa die Stärke von 165,000 M. erreicht haben, von denen die Hauptmacht in u. bei Sewastopol, kleinere Corps bei Eupatoria, Kertsch u. Perekop standen. Bis zur Übernahme des französischen Oberbefehls durch Pelissier war der Mai vor Sewastopol verhältnißmäßig sehr ruhig verflossen u. nur geringe Kämpfe hatten stattgefunden. Die Belagerer hatten an der Erweiterung ihrer Parallelen u. Batterien gearbeitet, die Belagerten hatten gleichfalls ihre Werke verstärkt. Außerdem hatten die Franzosen begonnen ihr Hauptdepot, den Hafen von Kamiesch, durch weite Befestigungsanlagen für alle Fälle gegen die Offensivunternehmungen der Russen sicher zu stellen. Mit Übernahme des Oberbefehls durch Pelissier erreichte diese Ruhe sofort ihr Ende. Um die Zufuhren der russischen Armee, welche zu einem großen Theile vom Asow'schen Meere her bewerkstelligt wurden, zu unterbrechen, ging in der Nacht vom 22. zum 23. Mai eine Flotte von 57 Kriegsdampfern unter den Admiralen Lyons u. Bruat in See. An Bord der Flotte befanden sich 15,000 M. Landungstruppen unter dem englischen General Brown. Schon am 24. Mai hatten die Alliirten sich fast ohne Kampf in den Besitz von Kertsch u. Jeníkaleh gesetzt u. am 25. eine kleine Flotille unter Capitän Lyons in das Asow'sche Meer einlaufen lassen, welche am 27. Mai Berdiansk, am 29. Mai Genitschi, am 3. Juni Taganrog, am 5. Juni Mariupol beschoß u. mehr od. minder zerstörte, namentlich überall die Magazine in Brand steckte, dann am 6. Juni die Getreidevorräthe bei Jeiskoe u. am 8. die bei Temrjuk auf der Halbinsel Taman vernichtete u. am 11. Juni wieder in Kertsch anlangte. In Kertsch waren inzwischen schon am 25. Mai die wüstesten Verheerungen angerichtet, u.a. das werthvolle Museum von Alterthümern auf dem Mithridatesberge gänzlich vernichtet worden. Die Landtruppen hatten während dieser Zeit bei Jeníkaleh Verschanzungen aufgeworfen u. so eine haltbare Position geschaffen. Unter Zurücklassung von 5000 M., meist Türken, segelten darauf die verbündeten Admirale wieder ab u. langten, nachdem sie am 14. Juni Anapa berührt hatten, am 15. Juni wieder in Balaklawa u. Kamiesch an. Vor Sewastopol hatte unterdessen Pelissier alle Mittel in Bewegung gesetzt, um den Angriff auf die Festung mit größter Kraft aufnehmen zu können. Zum Hauptangriff wählte er anstatt der Stadtseite wieder die Seite der Karabelnaja. Doch bevor er zur Ausführung dieses Planes schritt, ließ er noch die von den Russen vor Bastion 5 angelegten Logements angreifen. Obwohl der Angriff in der Nacht vom 22. zum 23. Mai mit bedeutenden Kräften unternommen wurde, so fand er doch die Russen vorbereitet u. blieb vergeblich, erst in der folgenden Nacht gelang es den Franzosen sich in den russischen Schützengräben festzusetzen. Nachdem durch Wegnahme dieser Position die französische Stellung nach der Nordseite genügend gesichert erschien, um die Besatzung Sewastopols hier im Zaume halten zu können, schritt Pelissier nun zur Durchführung seines eigentlichen Angriffsplanes auf die Schiffervorstadt, namentlich wurden die auf den Abschnitten vor Inkerman u. Malakow gegen die Redouten Volhynien u. Kamtschatka begonnenen neuen Parallelen ihrer Vollendung zugeführt u. in denselben schleunigst neue Batterien errichtet. Um aber die Stellung der Verbündeten gegen die russische Feldarmee in noch höherem Grade sicher zu stellen, als es bisher durch Errichtung von Verschanzungen geschehen war, u. um zugleich den Lagerraum für die bedeutend verstärkte Armee zu erweitern, ließ Pelissier am 25. Mai alle russischen Abtheilungen, welche noch auf dem linken Ufer der Tschernaja standen, zurückwerfen u. zugleich den Eingang zum Baidarthale nehmen, u. nachdem er durch eine am 3. Juni nach dem Baidarthale unternommene Recognoscirung die Gewißheit erlangt hatte, daß von dieser Seite kein Angriff zu befürchten sei, u. es gelungen war am 5. Juni die Batterien zu armiren, welche in der dritten Parallele gegen die erwähnten Redouten angelegt worden waren, glaubte Pelissier nun die Zeit gekommen, wo nach einer erschütternden Kanonade ein gleichzeitig auf alle Werke der Karabelnajaseite unternommener Sturm Aussicht auf Erfolg haben könnte. Dieser Sturm sollte am 7. Juni ausgeführt werden. Am 6. Nachmittags wurde aus sämmtlichen Batterien eine heftige Kanonade auf die Werke der Schiffervorstadt eröffnet u. bis zum Abend unterhalten, dann wurden die ganze Nacht hindurch die Werke mit Hohlgeschossen überschüttet. Am Morgen des 7. Juni begann die Kanonade mit verstärkter Heftigkeit von Neuem. Um die Russen über den Angriffspunkt zu täuschen, ließ Pelissier Nachmittags 3 Uhr auch von sämmtlichen Batterien der Stadtseite das Feuer aufnehmen u. um 61 Uhr erfolgte durch ein Raketensignal das Zeichen zum allgemeinen Angriff. So verzweifelten Widerstand die russischen Truppen auch leisteten u. obwohl in einzelnen Momenten sich der Sieg auf Seite der Belagerten zu stellen schien, am Ende blieben die Franzosen, freilich nach furchtbaren Verlusten, Herren sämmtlicher Werke vor dem Hauptwalle der Schiffervorstadt u. befanden sich dem Redan bis auf 400, der Kornilow-Bastion bis auf 500 u. der Bastion 2 bis auf 800 Schritt genähert. Noch in der folgenden Nacht setzten sich die Alliirten auf dem eroberten Terrain sortificatorisch fest u. führten ihre Angriffsarbeiten im Laufe der nächsten Tage weiter, während die Kanonade von beiden Seiten mit unverminderter Heftigkeit fortgesetzt wurde. Erst vom 11. Juni an begann das Feuer schwächer zu werden. Am 9. war ein Waffenstillstand auf einige Stunden geschlossen worden, um die Gefallenen zu beerdigen. Der Erfolg des 7. Juni hatte das Vertrauen zu Pelissier gesteigert, u. Kaiser Napoleon baute hierauf die Hoffnung, es könne nun auch ein Sturm auf den Hauptwall der Schiffervorstadt unternommen werden u. ordnete dazu den 18. Juni,[617] den Jahrestag der Schlacht von Waterloo, an. Obwohl die Vorbereitungen zu einem solchen Sturme noch keineswegs vollendet waren so glaubte dennoch Pelissier dem Wunsche des Kaisers Rechnung tragen zu müssen u. auch Lord Raglan ertheilte seine Zustimmung. Am 17. Juni wurde daher eine furchtbare Kanonade auf die Stadt eröffnet u. mit Verticalfeuer während der Nacht fortgeführt. Auch die Flotte betheiligte sich an der Beschießung, indem sie sich mit einigen Abtheilungen dem Eingang in die große Rhede näherte u. ihr Feuer auf die russischen Werke, bes. auf die Schiffe, richtete; doch war der Erfolg hierbei nur ein geringer. Die Russen hatten das Feuer Anfangs mit gleicher Heftigkeit erwidert, seit Mittag 2 Uhr jedoch nur noch schwach, u. gegen Abend hatten sie die Geschütze fast gänzlich schweigen lassen, aber nicht wegen der erlittenen Verluste, vielmehr in der Absicht ihre Kräfte u. ihre Munition für die Abwehr des bevorstehenden Angriffs, von welchem sie unterrichtet u. auf welchen sie vollkommen vorbereitet waren, aufzusparen. In der ersten Morgenstunde des 18. Juni rückten die zum Sturm bestimmten Truppen der Alliirten auf ihre Stellungen in den Laufgräben. Den rechten Flügel, welcher die Bastionen 1 u. 2 angreifen sollte, befehligte General Mayran. Im Centrum sollten die Divisionen Brunet u. d'Autemarre die Bastion Kornilow angreifen; sie nahmen ihre Aufstellung zu beiden Seiten u. vor- u. rückwärts der Kamtschatka-Lünette, welcher die Franzosen den Namen der Redoute Brancion gegeben hatten. Hinter dieser Redoute waren auch 2 Feldbatterien postirt. Die Kaisergarde unter Regnault de St. Angely bildete die Hauptreserve der Franzosen. Auf dem linken Flügel sollten die Engländer den Angriff auf Bastion 3 führen. Schon während die Truppen der Alliirten in ihre Stellungen einrückten, waren sie von russischen Patrouillen bemerkt u. gemeldet worden, u. als daher gegen 3 Uhr die Abtheilungen zum Angriff vorgingen, wurden sie auf allen Punkten von den Russen blutig zurückgewiesen, um so leichter, da die Angriffe der Sturmcolonnen nicht gleichzeitig erfolgten. Um 6 Uhr war der Kampf, welcher den Alliirten ungeheuere Verluste verursacht hatte, beendigt. Pelissier ließ die Truppen aus den Parallelen zurückgehen u. wenige Stunden später die Kanonade auf die Stadt mit der Heftigkeit des vorhergegangenen Tages wieder aufnehmen. Auch die Russen hatten schwere Verluste, namentlich durch die Beschießung am 17. u. 18. Juni, erlitten; General Totleben, die Seele der Vertheidigung Sewastopols, war verwundet worden u. mußte in Folge dessen nach Simpheropol zurückgebracht werden. Dennoch konnten die Russen mit Recht den Erfolg des 18. Juni als einen Sieg betrachten. Durch Offensivunternehmungen, welche Fürst Gortschakow bei Ankunft der zahlreichen heranrückenden Verstärkungen in Aussicht stellte, sollte derselbe vervollständigt werden; doch die Divisionen, welche auf dem Marsche nach der Krim begriffen waren, konnten theilweise erst im August anlangen, u. so blieben die russischen Angriffsunternehmungen immer noch in weite Ferne gerückt, obwohl die ungünstige Lage der alliirten Truppen für dieselben Erfolge zu verheißen schien. Unter den Truppen der Verbündeten wüthete erst die Cholera, u. als diese im Juli nachließ, Typhus u. Fieber, namentlich aber Augenkrankheiten, welche der seine Kalkstaub auf dem Plateau von Sewastopol erzeugt hatte. Dazu herrschte unter den verbündeten Generalen Mißstimmung; am 28. Juni starb auch Lord Raglan u. mit der Übernahme des englischen Commandos durch General Simpson wurde ein allgemeiner Wechsel fast aller englischen Commandos herbeigeführt. Bei all diesen Mißverhältnissen blieb General Pelissier seinem einmal angenommenen Plane getreu u. setzte mit möglichster Energie die Mittel in seinem Sinne, d.h. neue Stürme vorbereitend, in Bewegung. Um die Abgänge an Streitkräften zu ersetzen, verlangte Pelissier dringend Verstärkungen; England aber hatte nur wenig Truppen zur Verfügung, denn die auswärtigen Werbungen hatten nur sehr geringen Erfolg; so mußte wiederum Frankreich Soldaten senden. Gleichzeitig mit frischen Truppen langten große Transporte von Geschützen u. Munition in der Krim an. Die Belagerungsarbeiten schritten, wenn auch langsam, dennoch unaufhaltsam vorwärts u. waren schon um die Mitte des Juli bis auf 200 Schritte an die Werke der Schiffervorstadt herangeführt. Die Russen hatten sich in dieser Zeit begnügt ihre beschädigten Werke wieder herzustellen u. mittelst Artilleriefeuers die Arbeiten der Alliirten aufzuhalten; vom 14. Juli an unternahmen sie aber auch allnächtlich wieder Ausfälle, doch waren die Erfolge derselben nicht von Belang. Ende Juli u. Anfang August waren dann die russischen Verstärkungen auf dem Kriegsschauplatze angekommen u. mit ihnen zählte die russische Armee etwa 200,000 Mann. Pelissier glaubte daher, daß Gortschakow nun die lange vorher verheißene Offensive ergreifen würde, u. ließ sich dadurch abhalten einen wiederholten Sturm auf die Werke der Schiffervorstadt zu unternehmen. Am 16. Aug. endlich ließ Gortschakow mit 48,000 Mann die Alliirten an der Tschernajalinie angreifen. Pelissier, von dem Angriffe schon Tags vorher unterrichtet, hatte jedoch so energische Gegenmaßregeln ergriffen, daß die Russen nur ganz vorübergehende Erfolge zu erreichen vermochten u. auf allen Punkten mit großem Verluste zurückgeschlagen wurden. Dieser unglückliche Anfang der russischen Offensivunternehmungen war zugleich auch ihr Ende. Fortan begnügte sich Fürst Gortschakow die Vertheidigung der mehr u. mehr von den Arbeiten u. Batterien der Franzosen umklammerten Festung dem Widerstand der Wälle u. der Tapferkeit der Belagerten zu überlassen, hatte auch schon daran gedacht für den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein u. bereits am 12. Aug. den Bau einer Floßbrücke über die große Bucht von Sewastopol, zwischen den Forts Nikolaus u. Michael, beginnen lassen, um bei dem Aufgeben der Festung eine bequeme Rückzugslinie für die Besatzung zu haben. Pelissier wandte nach dem Siege an der Tschernaja seine ganze Energie wieder den Belagerungsarbeiten zu. Schon am 17. Morgens ließ er die Kanonade gegen die Schiffervorstadt mit größter Heftigkeit eröffnen u. von da an ungeschwächt u. ohne Unterbrechung bis zum Falle der Festung fortsetzen. Während der Nächte wurde die Festung mit einem nicht minder mörderischen Verticalfeuer überschüttet. Da die Belagerten in Erwartung eines neuen Sturmes auf die Festung meistens zahlreiche Reserven in der Stadt vereinigt hielten, waren ihre Verluste ungeheuer. Doch auch die Alliirten erlitten namhafte Verluste, denn so kräftig u. zahlreich auch das Feuer der Belagerungsartillerie war, es vermochte dennoch die russischen Geschütze nicht dauernd zum [618] Schweigen zu bringen. Das Feuer der vordersten Batterien der Franzosen begann mehr u. mehr seine zerstörenden Wirkungen auf die Erdwälle der Stadt auszuüben; von den Geschossen gelockert, rollte der Boden der Böschungen in die Gräben nieder, die Scharten stürzten ein, die Brustwehren verloren an Widerstandsfähigkeit, die Blendungen hinter u. unter den Wällen wurden von den colossalen Wurfgeschossen durchschlagen; noch immer arbeiteten aber die Russen fort, tausende von Soldaten waren allnächtlich u. mit der heldenmüthigsten Aufopferung bemüht die Gestalt der Werke wieder herzustellen, den eigenen Geschützen die Scharten wieder zu öffnen, neue Werke hinter den zerstörten aufzurichten. Doch von Tage zu Tage wurden diese Bemühungen unfruchtbarer, einzelne Werke nahmen die Gestalt regelloser Erdhaufen an u. mußten ihr Feuer einstellen. Zu Anfang September war die Spitze der französischen Angriffswerke kaum noch 35 Schritt von den Gräben der angegriffenen Bastionen entfernt, während die Engländer nur etwa bis auf 250 Schritt der Bastion 3 nahe gekommen waren. Pelissier glaubte nun nicht länger zögern zu dürfen einen neuen großen Sturm auf die Schiffervorstadt zu unternehmen, eine verstärkte Beschießung sollte denselben vorbereiten. Demzufolge begann am 5. Septbr. mit Tagesanbruch die Kanonade aus allen Batterien, sowohl denen der Stadt-, als denen der Karabelnaja-Seite; mit gleicher Heftigkeit wurde das Feuer auch am 6. u. 7. Septbr. unterhalten, auch in den zwischen liegenden Nächten währte das Bombardement fort. Gortschakow konnte nicht daran zweifeln, daß der Sturm jetzt folgen werde. Um demselben mit Kraft begegnen zu können, hatte er den größten Theil der Armee herangezogen u. zum Theil in den Werken der Schiffervorstadt, zum Theil an der Nordseite der großen Rhede in Bereitschaft gesetzt. An eine Wiederherstellung der durch das feindliche Feuer zerstörten Werke war nicht mehr zu denken, u. die Russen beschränkten sich auf die nothwendigsten Arbeiten, zum Schutze ihrer Pulvermagazine u. zur Erhaltung der Blendungen, dennoch aber war in diesen drei Tagen ihr Verlust an Mannschaften sehr bedeutend. Für den Fall des Gelingens des Sturmes der Verbündeten hatte Gortschakow die nöthigen Anweisungen ertheilen lassen, wie der Rückzug der Truppen nach der Nordseite, theils über die seit dem 27. August vollendete Brücke über die große Rhede, theils vermittelst der bereit gehaltenen Dampfer stattfinden sollte. Die Alliirten waren unterdessen bemüht gewesen mit größter Sorgfalt ihre Vorbereitungen zum Sturme zu treffen. Als dieselben beendet waren, wurde der Sturm für den 8. Sept. festgesetzt. Den Angriff auf den Malakow-Abschnitt sollte General Bosquet leiten, den auf die Stadtseite General de Salles; der Angriff auf den Redan (Bastion 3) war, wie früher, den Engländern überwiesen. Die Gesammtstärke der für den Sturm am 8. Septbr. bestimmten Truppen mochte etwa 70,000 Mann betragen. Dagegen hatten die Russen am Morgen des 8. Sept. eine selbst überlegene Truppenmenge zur Vertheidigung der Werke aufgestellt; 55,000 Mann sollten unter General Chrulew die Vertheidigung der Karabelnaja übernehmen, 25,000 Mann unter General Semjakinn waren zum Kampfe auf der Stadtseite bestimmt. Mit Tagesanbruch des 8. September wurde die Beschießung der Festung aus allen Batterien mit möglichster Kraft erneut. Während dessen rückten die zum Sturme bestimmten Truppen in den deckenden Approchen auf die ihnen in der Disposition angewiesenen Plätze. Um 12 Uhr schwieg plötzlich das Feuer aus den Batterien der Belagerer u. die französischen Divisionen brachen aus den Parallelen gegen die ihnen angewiesenen Angriffspunkte vor. Die Russen hatten wohl im Laufe des Vormittags größere Bewegung im feindlichen Lager u. in den Parallelen bemerkt, darin aber wenig Auffälliges im Vergleich zu den früheren Tagen gefunden. Nur die Regimenter der ersten Linie waren in den Werken, die Reserven in den Kasernen der Stadt u. Vorstadt, u. auch jene standen keineswegs in voller Stärke unter dem Gewehr, waren zum Theil, als der Angriff begann, eben beim Mittagsessen. Doch das Vorbrechen der Franzosen brachte sie schnell auf ihre Posten u. in wenig Minuten schon traten sie dem andringenden Feinde mit Ordnung u. Unerschrockenheit entgegen. Die linke Flügelcolonne des Generals Bosquet, unter Führung des Generals Mac Mahon, hatte sich auf die Kornilow-Bastion gestürzt, im ersten Anlauf die Werke erstiegen u. sich in denselben festgesetzt. Das entschied den Erfolg des Tages; denn es gelang den Russen nicht die Franzosen wieder aus demselben zu vertreiben. Weniger glücklich waren die Franzosen gewesen gegen die Werke der Bastion 2, welche sie erst nach viermaligem Sturm dauernd zu besetzen vermochten. Die Engländer waren bei dem Angriffe auf den Redan mit großen Verlusten zurückgeschlagen worden u. auch auf der Stadtseite, wo General de Salles erst um 2 Uhr hatte angreifen lassen, war von den Franzosen kein Erfolg erlangt worden. Da die hochgelegene Kornilow-Bastion, mit dem Malakowthurme im Innern, die ganze Stadt beherrschte, so konnten die Russen sich nicht länger in derselben halten u. Gortschakow gab daher kurz nach 4 Uhr den Befehl zum Rückzuge nach der Nordseite. Mit Einbruch der Nacht begannen die Truppen theils auf der Schiffbrücke, theils auf Dampfern über die große Bucht zu gehen u. bis zu Tagesanbruch waren alle Truppen in Sicherheit, nur eine Anzahl Schwerverwundeter war in einer Kasematte zurückgelassen worden. Noch während der Nacht hatten die abziehenden Truppen zahlreiche Gebäude in Brand gesteckt, die Pulvermagazine gesprengt u. durch das Zünden vorher angelegter Minen die Zerstörung der Stadt zu vollenden gesucht. Die Brücke war mit Tagesanbruch abgebrochen worden, die von der ehemaligen Flotte noch vorhandenen Schiffe wurden bis auf einen Dampfer ins Meer versenkt. Die Verluste, welche der Kampf des 8. Septbr. herbeigeführt, waren auf beiden Seiten sehr groß; die Russen hatten 13,000, die Alliirten 10,000 Todte u. Verwundete. So war denn Sewastopol, Rußlands große Seefeste am Schwarzen Meere, gefallen, nachdem es mehr als 11 Monate hindurch (349 Tage) eine Belagerung ausgehalten, welche in Hinsicht auf die Größe der dabei aufgewendeten Mittel in der Geschichte ohne Beispiel dasteht. Die Länge der von den Alliirten ausgeführten gesammten Laufgräben betrug 110,000 Schritte, d.h. mehr als 11 geographische Meilen, ein nicht geringer Theil derselben hatte mit Pulver in den Boden gesprengt werden müssen; 80,000 Schanzkörbe, 60,000 Faschinen, fast 1 Mill. Sandsäcke waren verbraucht worden; 800 Geschütze hatten in der letzen Zeit des Angriffs in den Batterien gestanden, meist vom schwersten [619] Kaliber, schwerer als sie jemals in solcher Anzahl zur Anwendung gekommen sind, mehr als 1 Mill. 600,000 Geschosse waren im Laufe der Belagerung gegen den Platz geschleudert worden; noch gewaltiger werden die Dimensionen, wenn man erwägt, daß zwei ungeheure Armeen u. eine mächtige Flotte, ausgerüstet mit allen Hülfsmitteln, welche die Erfindungen der Neuzeit bieten, in directester Weise an diesem Kampfe betheiligt waren. Frankreich hatte den besten Theil seiner Truppen nach der Krim gesendet, England fast seine ganze Armee, die Türkei hatte ein starkes Contingent, Sardinien einige Divisionen geliefert, fast 250,000 M. zählte während der letzten Periode der Belagerung die Armee der Verbündeten. Und Rußland hatte beinahe die Hälfte seiner ungeheuren Armee nach jenem verhängnißvollen Winkel der Taurischen Halbinsel geworfen; zur Vertheidigung der Festung hatte das Material der Flotte des Schwarzen Meeres Kriegsmittel geboten, welche nicht minder reich als jene der Verbündeten waren.

IX. Das Baltische Kriegstheater u. der Feldzug in Kleinasien im Jahre 1855. Sobald es die Witterung erlaubte, im Mai, erschien auch 1855 wieder eine englische Flotte unter Anführung des Admiral Rich. Saunders Dundas in der Ostsee u. wo möglich noch furchtbarer ausgerüstet als die im vorhergegangenen Jahre. Die Franzosen sendeten diesmal nur eine verhältnißmäßig kleine Escadre unter Admiral Penaud. Doch die gehegten Erwartungen wurden auch in diesem Jahre nicht erfüllt. Die russische Flotte blieb in ihren schützenden Häfen, die russischen Seefestungen waren uneinnehmbar. So blieb denn Richts übrig als eine strenge Blockade der russischen Ostseehäfen auszuführen, sowie auf Küstenfahrzeuge Jagd zu machen, Magazine zu zerstören u. dgl. Am 4. Juli sprengte Capitän Yelverton die von den Russen schon vorher verlassenen Befestigungswerke der Insel Swartholm; am 5. Juli landete er bei Lowisa u. steckte die dasel bst befindlichen Regierungsgebäude u. Magazine in Brand; am 21. Juli schoß er Frederickshamm in Brand u. am 26. zerstörte er die russischen Anlagen auf der Insel Kotka. Endlich hatte man den Entschluß gefaßt etwas Größeres zu unternehmen; am 7. August erschien die alliirte Flotte vor Sweaborg u. bombardirte dasselbe in den Tagen vom 8._– 11. August, doch mit sehr geringem Erfolge; man hatte hie u. da Magazine in Brand gesteckt, Holzvorräthe angezündet, auch ein Bombenmagazin in die Luft gesprengt, den Festungswerken aber keinen Schaden zufügen können. Bald darauf, im Sept., verließen die alliirten Flotten die Ostsee wieder. Einige englische u. französische Schiffe waren auch in diesem Jahre an den russischen Küsten des Weißen Meeres u. des Großen Oceans erschienen, ohne jedoch irgend etwas zu unternehmen.

Auf dem asiatischen Kriegsschauplatze entfaltete Murawiew, der im Winter zum Gouverneur der Kaukasischen Statthalterschaft ernannt worden war, eine ungemeine Thätigkeit u. brachte die russischen Streitkräfte auf eine genügende Stärke, um den türkischen Truppen gegenüber, welche sich in höchst desolatem Zustande befanden, den Krieg mit Energie u. sicherer Aussicht auf Erfolg betreiben zu können. Am 7. Juni brachen die russischen Truppen von Alexandropol auf, überschritten die türkische Grenze u. bewegten sich auf Kars zu. Eine Abtheilung Baschi Bozuks, welche sich bei Mezra den Russen in den Weg stellte, wurde am 14. Juni geschlagen, und schon am 18. Juni erschien Murawiew vor Kars u. ließ die Festung blockiren, um sie durch Verhinderung der Zufuhr zur Übergabe zu nöthigen. In Kars wurde von dem türkischen Befehlshaber Wassif Pascha, welchem der Engländer Williams u. der Ungar Kmety zur Seite standen, Alles gethan, um den Russen kräftigen Widerstand entgegenzusetzen, es gelang auch die Festung mit neuen Zufuhren zu verproviantiren, gleichwohl konnte es nicht zweifelhaft sein, daß die Festung, wenn nicht ein Entsatz ermöglicht wurde, endlich den Russen in die Hände fallen müsse. Als sich jedoch Vely Pascha von Erzerum her mit 10,000 zur Unterstützung von Kars heranbewegte, ging ihm Murawiew entgegen u. schlug ihn am 2. Aug. bei Tschoban Köpri am Aras. Murawiew, der inzwischen auch Verstärkungen an sich gezogen hatte, ließ nun die Einschließung der Festung noch enger machen, so daß in derselben sich sehr bald fühlbarer Mangel an den nothwendigsten Bedürfnissen einstellte. Dennoch setzten die Türken die Vertheidigung fort. Ende August endlich langte in der Festung die Kunde an, daß eine türkische Armee unter Omer Pascha bei Batum landen u. zum Entsatz herbeieilen würde. Diese Kunde belebte den Muth der Vertheidiger von Neuem, Murawiew dagegen beschloß nun die Einnahme der Festung zu beschleunigen u. ließ am 29. Sept. einen Sturm unternehmen; die Russen erlangten Anfangs einige Vortheile, wurden dann aber von den Türken mit großem Verlust (6500 M.) zurückgeworfen. Nach diesem unglücklichen Versuche begnügte sich der russische Feldherr wieder mit der vollständigen Einschließung der Festung. Im Sept. landete endlich Omer Pascha mit 30,000 Mann bei Suchum Kaleh u. setzte sich gegen Tiflis in Bewegung. Die Russen hatten in diesen Gegenden nur 9–10,000 Mann unter Fürst Bagration. Den Türken fehlte es aber an Transportmitteln, die Jahreszeit war ungünstig, die Wege waren schlecht, die Bewohner des Landes feindselig, u. so konnte Omer Pascha sich nur sehr langsam vorwärts bewegen; er schlug zwar am 4. Nov. eine russische Abtheilung am Ingur, war jedoch Anfang Dec. erst bis an den Tzschenistschal vorgedrungen, als er die Kunde von der Übergabe von Kars erhielt u. in Folge dessen den Rückzug wieder antrat. Auch von Erzerum her wurden, jedoch ebenso erfolglos, einige Bewegungen zum Entsatz von Kars gemacht, erst unter Vely, dann unter Selim Pascha. Als so die Hoffnungen auf Entsatz vereitelt wurden, sah sich Wassif Pascha durch die in der Festung herrschende Hungersnoth gezwungen den Vorschlag Murawiews anzunehmen u. die Festung am 27. u. 28. Nov. an die Russen zu übergeben. Die Besatzung wurde kriegsgefangen, jedoch die Irregulären in ihre Heimath entlassen; dem Privateigenthum u. der Stadt wurde von Murawiew vollständiger Schutz zugesichert u. gewährt.

X. Die Situation nach dem Falle von Sewastopol u. die kriegerische u. Ereignisse bis zum Abschlusse des Friedens Dem Frieden war man durch die Einnahme von Sewastopol noch um Nichts näher gerückt, denn in allen russischen Documenten, welche die Katastrophe des 8. September hervorrief, fand sich nicht ein Wort von Frieden, alle Anstalten, alle öffentlichen Kundgebungen zeigten, daß man entschlossen sei, den Krieg fortzusetzen. Um der Vertheidigung[620] des Reiches im Süden einen erhöhten Widerstand zu verleihen, begab sich Kaiser Alexander persönlich nach dem Kriegsschauplatze u. langte am 25. Sept. in Nikolajew an, von wo er in der ersten Hälfte des November nach der Krim ging. Für die Verbündeten war zwar die Einnahme Sewastopols an sich wichtig, aber kein vollkommener Abschluß des Feldzugs. Um einen solchen zu erreichen, waren neue große Schläge nothwendig, vor Allem mußte die russische Feldarmee geschlagen od. zur Räumung der Krim veranlaßt werden. Die Alliirten zogen daher Verstärkungen heran, indeß war die Jahreszeit schon zu weit vorgerückt, um weit aussehende Operationen zu gestatten, u. man begnügte sich den Truppen dann u. wann veränderte Stellungen anzuweisen u. den Versuch zu machen, durch Diversionen im Rücken der Russen den Anstoß zu deren Rückzuge zu geben. Doch die russische Armee blieb in der Krim, nahm aber ebenfalls eine andere Stellung ein, indem Gortschakow den Schwerpunkt mehr rückwärts nach Simpheropol verlegte. Einige Tage nach dem 8. Sept. hatte der Kampf gänzlich geruht. Die Russen hatten ihre Stellung auf der Nordseite durch neuangelegte Verschanzungen noch verstärkt; die Alliirten hatten mit dem Entwaffnen u. Einebnen ihrer Angriffswerke, mit der Aufnahme u. Fortschaffung des in der Stadt noch vorgefundenen Kriegsmaterials (darunter 4000 Kanonen, 400,000 Kanonenkugeln, 360,000 Flintenpatronen, 5000 Ctnr. Pulver) zu thun, legten jedoch auch einige neue Batterien an, welche das Feuer der Nordseite schwach erwiderten. Gleichzeitig hatten sie das in der Stadt erhaltene Baumaterial dazu verwendet ihr Lager besser gegen den Winter einzurichten. Im Übrigen trat auf dem Hauptkriegstheater von nun an eine fast vollständige Ruhe ein, nur unterbrochen durch kleine Vorpostengefechte u. einige zufällige Ereignisse, wie durch das am 15. November auf dem Plateau von Sewastopol erfolgte Auffliegen eines großen französischen Pulvermagazins, wobei mehre Hundert Leute umkamen, u. durch einen heftigen Sturm, welcher in der Nacht vom 1. auf den 2. December im Lager der Verbündeten große Verwüstungen anrichtete. Vom Anfang November an kehrte der größere Theil der westmächtlichen Flotten in die Häfen Frankreichs u. Englands zurück; General Codrington, welcher seit dem 12. Nov. den Oberbefehl über die englische Armee übernommen hatte, sendete bei dieser Gelegenheit die englische Cavallerie an den Bosporus in Winterquartiere. Bei den Russen erhielt am 12. Jan. General Lüders den Oberbefehl an Stelle des Fürsten Gortschakow u. auch General Osten-Sacken verließ die Armee u. wurde durch General Helfreich ersetzt. In Sewastopol zerstörten die Alliirten während des Januar 1856 die großartigen Dockbauten u. im Februar auch die Seeforts der Südseite, Alexander, Nikolaus u. Quarantäne, indem die Werke durch Minen gesprengt wurden. Die oben erwähnten Diversionen der Alliirten, durch welche die Russen um ihre Rückzugslinie besorgt gemacht u. dadurch zum Abzuge aus der Krim veranlaßt werden sollten, bestanden darin, daß die Franzosen im Sept. einige Divisionen unter d'Allonville nach Eupatoria warfen, Kertsch verstärkt besetzen ließen u. eine Flotte nach dem Dniepr-Liman sendeten. Doch mit Ausnahme eines Überfalls des russischen Generals Korw am 29. Sept., wobei die russische Cavallerie empfindliche Verluste erlitt, beschränkte sich d'Allonville darauf im October einige Recognoscirungen auszuführen u. Anfang Novbr. einen russischen Convoi mit Schlachtvieh bei Eltock wegnehmen zu lassen. Von Kertsch aus, wo General Vivian mit der inzwischen auf 12,000 Mann angewachsenen englisch-türkischen Legion zur Verstärkung ausgeschifft worden war, wurden am 24. Sept. Fanagoria u. Taman in Besitz genommen u. zerstört, u. im Asowschen Meere machten einige Schiffe unter Commodore Osborne bis zum November Streifzüge, um die Fischereien u. die russischen Magazine zu zerstören. Genitschi wurde einige Male beschossen, ein russisches Magazin an der Mündung des Salgir verbrannt u. am 4. Novbr. die Vorräthe in Jeisk vernichtet. Die Flotte, welche am 7. Oct. aus den Häfen von Kamiesch u. Balaklawa nordwärts gesteuert war, erschien am 8. Oct. vor Odessa u. am 14. vor Kinburn. Dieser kleine Platz wurde am 17. beschossen u. zur Übergabe gezwungen. Als am Tage darauf eine Flottenabtheilung vor Oczakow erschien, sprengten die Russen die vor dieser Festung gelegenen Strandbatterien selbst in die Luft, die Flotte aber kehrte, nachdem sie noch einige Sondirungen im Dniepr-Liman vorgenommen hatte, am 29. nach Kamiesch zurück.

XI. Die Friedensverhandlungen u. der Frieden. Als nach dem Falle Sewastopols kein entschiedenes weiteres Vorgehen der Verbündeten folgte, hatte zunächst Preußen in Petersburg wegen des Friedens Anfragen gestellt u. eine nicht ungünstige Antwort erhalten. Eben so setzte sich Österreich in ähnlichem Sinne mit Frankreich in Verbindung u. fand in Paris vollkommenen Anklang. In London war man zwar dem Frieden weniger geneigt, gab jedoch nach, um so eher, als Frankreich u. Österreich dem englischen Cabinet das Zugeständniß machten die Friedensvorschläge zu formuliren. Trotz seiner Bereitwilligkeit aber Rußland die Hand zum Frieden zu bieten, glaubte Kaiser Napoleon Nichts unterlassen zu dürfen, wodurch die Machtstellung der Verbündeten vermehrt werden könnte, daher schickte er Ende October den General Canrobert nach Stockholm, welcher am 20. Nov. den Abschluß eines Defensivbündnisses zwischen Schweden u. den Alliirten erreichte. Als Canrobert darauf Dänemark zu einem gleichen Vertrage veranlassen wollte, lehnte das Kopenhagener Cabinet die Vor schläge ab u. erklärte nur, daß es streng an der Neutralität festhalten werde. Auch an den deutschen Höfen suchte Kaiser Napoleon in dieser Zeit wieder gegen Rußland zu wirken, namentlich einen engeren Anschluß derselben an Österreich zu unterstützen. Inzwischen waren in London die neuen Friedenspropositionen nach Maßgabe der zwischen den Decemberverbündeten getroffenen Verabredung redigirt u. den vier Punkten von früher noch ein fünfter hinzugefügt worden. Der erste Punkt, bezüglich der Donaufürstenthümer, hatte eine präcisere Fassung wie früher u. den Zusatz erhalten, daß Rußland einen Theil Bessarabiens an die Pforte abtreten solle; der zweite Punkt, über die Freiheit der Donau u. ihrer Mündungen, enthielt in der neuen Fassung nur das Frühere; die dritte Proposition, das Schwarze Meer u. die Flotten darauf betreffend, eine Frage, an deren Lösung die Unterhandlungen der Mächte in Wien sich zerschlagen hatten, war im Allgemeinen den Ansichten[621] gemäß aufgestellt, welche Österreich auf den früheren Conferenzen vertreten hatte. Österreich hatte auf den Wiener Conferenzen die Feststellung der Stärke der russischen Pontusflotte von dem Stande derselben bei Abschluß des Friedens abhängig gemacht wissen wollen; seit dem Falle Sewastopols existirte überhaupt eine russische Flotte im Schwarzen Meere nicht mehr, es sollte eine solche nun auch ferner nicht existiren, aber auch keine türkische, beide Uferstaaten sollten sich auf diejenige Zahl kleiner Schiffe beschränken, welche zum Wacht- u. Zolldienst an den Küsten nothwendig sein würden; es sollten auch am Schwarzen Meere weder Seekriegsarsenale geschaffen noch behauptet werden. Der vierte Punkt war durchaus dem früheren entsprechend; in dem fünften behielten sich die kriegführenden Mächte das (schon früher in Wien beanspruchte) ihnen zustehende Recht vor, besondere Bedingungen über die vier Punkte hinaus zu bringen, doch sollten dieselben nur von europäischem Interesse sein können. Während Rußland nach dem Falle Sewastopols zu keinem Worte sich verstanden hatte, welches auf seine Neigung zum Frieden hätte schließen lassen, sah es sich nach der Einnahme von Kars u. der Besitzergreifung einer reichen türkischen Provinz in dem Besitze eines Pfandes, welches ihm erlaubte als vollkommen gleichberechtigt in Unterhandlungen zu treten. Es hatte daher in einem Rundschreiben seine Geneigtheit zum. Frieden den fremden Höfen officiell mittheilen u. zugleich Vorschläge zur Regelung des dritten Punktes machen lassen, welche allerdings wesentlich von der Auffassung der Verbündeten abwichen u. daher zurückgewiesen wurden. Nachdem nun das russische Cabinet am 26. Decbr. vom Grafen Esterhazy die neuen Friedensvorschläge eingehändigt erhalten hatte, suchte es zwar an dem ersten, dritten u. fünften Punkte Änderungen herbeizuführen u. machte Gegenvorschläge in Wien, jedoch Österreich hielt in Übereinstimmung mit den Westmächten die unveränderte Annahme der Propositionen aufrecht u. stellte für die desfallsige Erklärung Rußlands eine Frist bis zum 18. Januar. Die russische Regierung, auch von Preußen zur Annahme aufgefordert, erklärte sich am 16. Januar bereit zu der rückhaltlosen Annahme der fünf Punkte als Präliminarienentwurf für Friedensunterhandlungen, u. in Folge dessen traten in Wien am 1. Februar die Gesandten Englands, Frankreichs, Österreichs, Rußlands u. der Türkei zusammen, um durch einen officiellen Act die fünf Punkte als Präliminarienentwurf anzuerkennen. Von der Mitte des Februar an hatten sich sodann in Paris die Vertreter der bei den Verhandlungen betheiligten Mächte zusammengefunden, England war repräsentirt durch seinen Botschafter in Paris, Lord Cowley, u. seinen Minister des Auswärtigen Lord Clarendon; Österreich durch von Hübner u. den Grafen Buol; Rußland durch den Grafen Orlow u. von Brunnow; die Türkei durch ihren Gesandten in Paris, Mehmed Dschemil-Bey, u. den Großvezier Ali Pascha; Sardinien durch den Minister des Äußern, Grafen Cavour, u. ebenfalls seinen Gesandten, den Marquis von Villamarina; Frankreich endlich durch den Grafen Walewski u. von Bourqueney. Preußen, welches als Großmacht u. Mitgarant des Vertrags von 1841 den Eintritt beanspruchte, blieb zunächst ausgeschlossen, weil es sich nicht dazu verstanden hatte die vier Punkte in ihrer Gesammtheit anzunehmen u. erst am 18. März traten seine Bevollmächtigten, der Minister von Manteuffel u. Graf Hatzfeld, in die Versammlung ein. Am 25. Februar begann die Eröffnung der Conferenzen. Der Graf Walewski wurde zum Vorsitzenden des Congresses ernannt. Sogleich in der ersten Sitzung wurde ein Waffenstillstand abgeschlossen, welcher bis zum 31. März Gültigkeit haben, nur auf die seit Mitte März von englischen Schiffen wieder begonnene Blockade der Ostseehäfen keinen Einfluß üben sollte. Nach der Krim gelangte die Nachricht vom Waffenstillstande am 28. Februar; in Folge dessen hatten die Vertreter der commandirenden Generale am 29. Februar an der Brücke von Traktir eine Zusammenkunft, in welcher vorläufig die Einstellung der Feindseligkeiten vereinbart u. die Tschernaja als Demarcationslinie festgestellt wurde; eine förmliche Waffenstillstandsconvention kam erst am 14. März zu Stande. Bei der sich kundgebenden großen Nachgiebigkeit Rußlands gediehen die Verhandlungen verhältnißmäßig rasch u. am 30. März, in der 19. Sitzung des Congresses, fand die Unterzeichnung des Friedens statt. Da inzwischen der Waffenstillstand ablief, wurde noch beschlossen, daß derselbe bis zur Auswechselung der Ratificationen verlängert werden solle. Der Friedensvertrag war in 34 Artikeln zusammengestellt. Artikel 1 bestimmte, daß vom Tage der Auswechselung der Ratificationen des gegenwärtigen Vertrages ewiger Friede u. Freundschaft zwischen den kriegführenden Parteien herrschen solle. Art. 2: Nach Herstellung des Friedens werden die von den Armeen eroberten od. besetzten Gebiete gegenseitig geräumt. Art. 3 u. 4: Rußland gibt die in Kleinasien eroberte türkische Provinz an den Sultan zurück, eben so geben die Alliirten alles eroberte od. besetzte russische Gebiet an Rußland zurück. Art. 5 enthielt die Bewilligung der vollen Amnestie für alle, welche sich durch Theilnahme an den Kriegsereignissen compromittirt haben sollten. Art. 6: Die Kriegsgefangenen werden von beiden Theilen unverweilt zurückgegeben, Im Art. 7 erklärten die sechs christlichen Mächte, daß sie für den Besitzstand u. die Unabhängigkeit des Ottomanischen Reiches insgesammt die Garantie übernehmen u. jeden Act, welcher eine Beeinträchtigung derselben einschlösse, als eine Frage des allgemeinen Interesses betrachten wollten. Art. 8: Bei jeder Differenz zwischen der Pforte u. einer der unterzeichneten Mächte sollen vor der Anwendung von Gewalt die übrigen contrahirenden Parteien zur Vermittelung angerufen werden. Im Art. 9 wurde Bezug genommen auf den zur Verbesserung der Lage der Christen im Türkischen Reiche am 10. Februar 1856 erlassenen Ferman des Großherrn; der Großherr habe beschlossen diesen Ferman, einen freiwilligen Act seines souveränen Willens, den contrahirenden Mächten mitzutheilen, diese wollten jedoch daraus keines Falls das Recht herleiten, entweder gemeinsam od. einzeln sich in die innere Verwaltung des Türkischen Reiches einzumischen. Nach Art. 10 wird der Vertrag vom 13. Juli 1841, den Schluß der Meerengen betreffend, als revidirt bezeichnet, u. der zu diesem Ende abgeschlossene Act soll dem gegenwärtigen Vertrage angehängt bleiben, aber dieselbe Kraft haben, als ob er einen integrirenden Theil desselben bildete. Art. 11 bestimmt: das Schwarze Meer ist neutralisirt, seine Gewässer u. Häfen stehen den [622] Handelsschiffen aller Nationen offen, sind aber allen Kriegsschiffen untersagt, außer denen, welche in den Artikeln 14 u. 19 erwähnt sind. Art. 12 setzt fest, daß der Handel auf dem Schwarzen Meere frei von jeder Beschränkung sein solle, welche nicht durch die Reglements über Gesundheits-, Zoll- u. Polizeidienst geboten ist; Rußland u. die Pforte sollen im Einklang mit den Grundsätzen des Völkerrechts Consuln in den Häfen am Schwarzen Meere zulassen. Nach Art. 13 verpflichten sich Rußland u. die Pforte am Schwarzen Meere Seekriegsarsenale weder zu erhalten, noch zu errichten. Art. 14 verleiht der Specialconvention, welche Rußland u. die Pforte über den künftigen Stand der beiderseitigen Flottenkräfte auf dem Schwarzen Meere geschlossen haben, Vertragskraft; diese Übereinkunft soll nur mit Zustimmung der contrahirenden Mächte aufgehoben od. abgeändert werden können. Der Art. 15 bestimmt, daß die in der Wiener Congreßacte aufgestellten Grundsätze für die Regelung der Schifffahrt auf solchen Flüssen, welche mehre Staaten von einander trennen od. durchströmen, in Zukunft auch auf die Donau u. ihre Mündung angewendet werden sollen. Diese Bestimmung soll fortan einen Theil des öffentlichen europäischen Rechts ausmachen. Die Donauschifffahrt soll keinem Hinderniß u. keiner Gebühr unterworfen werden, welche nicht ausdrücklich in den Festsetzungen der folgenden Artikel vorgesehen wäre. Art. 18 verfügt, daß die contrahirenden Mächte eine Commission einsetzen werden, welche die Arbeiten bezeichnet u. ausführen läßt, die von Isaktscha abwärts nothwendig sind, um die Mündungen der Donau u. die angrenzenden Meerestheile von den Versandungen u. anderen Hindernissen der Schifffahrt zu befreien. Zur Deckung der sowohl durch diese Arbeiten, als durch die Einrichtungen für Sicherung u. Erleichterung der Schifffahrt auf den Donaumündungen entstehenden Kosten sollen feste Gebühren, für welche die Commission einen Tarif entwirft, erhoben werden können; alle Nationen sollen hierbei gleiche Behandlung erfahren. Nach Art. 17 soll eine permanente Commission (bestehend aus je einem Abgeordneten Österreichs, Baierns, Württembergs u. der Pforte, welchen sich Commissäre der drei Donaufürstenthümer anschließen sollen) eingesetzt werden, welche die Reglements für die Schifffahrt u. Polizei auf der Donau ausarbeitet, alle Hindernisse beseitigt, welche etwa der Anwendung der Bestimmungen des Wiener Vertrages auf die Donau im Wege stehen sollten, die nothwendigen Arbeiten auf dem ganzen Laufe des Flusses anordnet u. ausführen läßt u. endlich nach Auflösung der europäischen Commission darüber wacht, daß die Schiffbarkeit der Donaumündungen erhalten bleibt. Im Art. 18 wird angenommen: wenn die Commissionen ihre Arbeiten, namentlich die der beiden ersten Punkte, vollendet haben, so werden die contrahirenden Mächte sich zu einer Conferenz vereinigen, welche die Auflösung er europäischen Commission ausspricht. Von diesem Moment an soll die permanente Untercommission in den Genuß aller Vollmachten treten, mit denen bis dahin die europäische Commission bekleidet war. Artikel 19 setzt fest, daß zur Sicherung der Ausführung derjenigen Verordnungen, welche nach den obigen Grundsätzen erlassen werden sollen, jede der contrahirenden Mächte das Recht erhält, zu jeder Zeit zwei leichte Fahrzeuge an den Mündungen der Donau zu stationiren. In Art. 20 u. 21 verpflichtete sich Rußland zur Abtretung eines Theils von Bessarabien, so daß seine Grenze fortan ein Kilometer östlich vom See Burna Sola beginnen, senkrecht zur Straße von Akjerman in diese einfallen, der erwähnten Straße bis zum Trajanswalle folgen, dann zu einem Punkte südlich von Bolgrad laufen, dann den Jalpuchfluß aufwärts bis zur Höhe von Saratsika ziehen u. bei Katamori am Pruth endigen werde; oberhalb dieses Punktes sollte die alte Grenze bestehen bleiben. Dieses abgetrennte Gebiet wird mit der Moldau vereint; die Bewohner dieses Gebiets sollen die Rechte der Unterthanen der Donaufürstenthümer genießen, auch die Berechtigung haben binnen drei Jahren mit freier Verfügung über ihr Eigenthum auswandern zu können. Art. 22–29: Die Fürstenthümer Moldau u. Walachei genießen, wie vordem unter der Oberlehnsherrlichkeit der Pforte, die Privilegien, in deren Besitz sie sich befinden u. die contrahirenden Mächte garantiren diese Privilegien. Ein ausschließliches Protectorat von einer garantirenden Macht soll nicht stattfinden, keine Macht soll ein besonderes Recht der Einmischung in die innern Angelegenheiten der Fürstenthümer haben. Die Pforte verpflichtet sich den Fürstenthümern ihre unabhängige u. nationale Verwaltung zu belassen, deren volle Freiheit des Cultus, der Gesetzgebung, des Handels u. der Schifffahrt zu erhalten. Es soll eine Specialcommission ernannt werden, welche die Aufgabe erhält, sich von dem gegenwärtigen Zustande der Fürstenthümer zu unterrichten u. die Grundlagen für ihre künftige Organisation vorzuschlagen. Sofort aber sollen von der Pforte Specialdivans für die Fürstenthümer eingesetzt werden; das Verhältniß dieser zu der Commission soll durch eine Instruction des Congresses geordnet werden. Das in Verständigung mit den beiden Divans gewonnene Resultat der Arbeiten der Commission in Paris soll der Gegenstand einer Übereinkunft zwischen den contrahirenden Mächten werden; ein Hattischerif des Großherrn sollte sodann endgültig die Organisation der Fürstenthümer festsetzen, welche fortan unter die Gesammtgarantie der unterzeichneten Mächte treten. In den Fürstenthümern soll eine nationale bewaffnete Macht bestehen; die Fürstenthümer erhalten auch das Recht in Übereinstimmung mit der Pforte außerordentliche Vertheidigungsmaßregeln zur Zurückweisung fremder Angriffe zu ergreifen. Bei Ruhestörungen im Innern der Fürstenthümer hat die Pforte sich mit den contrahirenden Mächten über die zu ergreifenden Maßregeln zu verständigen, eine bewaffnete Intervention darf ohne vorhergegangenes Einverständniß der Mächte nicht stattfinden. Das Fürstenthum Serbien erhält die Bestätigung seiner Rechte u. Freiheiten, dasselbe soll zwar auch ferner von der Hohen Pforte abhängig sein, aber unter der Garantie der Mächte seine eigene nationale Verwaltung, völlige Freiheit des Cultus, der Gesetzgebung, des Handels u. der Schifffahrt behalten. Die Pforte behält zwar wie bisher das Recht der Besetzung in Serbien, aber hier darf ohne Vorwissen der contrahirenden Mächte keine bewaffnete Intervention stattfinden. Im Art. 30 wird ausgesprochen, daß die russisch-türkische Grenze in Asien geordnet u. wenn nöthig, rectificirt werden solle, u. zwar solle innerhalb acht Monaten eine aus zwei russischen, zwei türkischen, einem französischen u. einem englischen Abgeordneten zusammengesetzte Commission diesen [623] Punkt an Ort u. Stelle erledigen. Nach Art. 31 sollen die von den Truppen der Alliirten u. Österreicher besetzten Gebiete so bald als möglich geräumt werden. Nach Art. 32 sollen die durch den Krieg aufgehobenen Verträge über den Handel vorläufig wieder in Kraft treten, bis neue Übereinkommen darüber getroffen sind. In jedem andern Punkte sollen die Unterthanen fremder Staaten beziehentlich auf dem Fuße der meist begünstigten Nation behandelt werden. Nach Art. 33 erhält die zwischen Frankreich u. England einer- u. Rußland andererseits getroffene Übereinkunft bezüglich der Ålandsinseln Vertragskraft. Art. 34 endlich bestimmt, daß die Ratificationen des Vertrages im Laufe von vier Wochen, vom 30. März an gerechnet, in Paris ausgewechselt werden sollten. Diesem Vertrage waren noch ein Zusatzartikel u. drei Specialconventionen als Anhang hinzugefügt. Der Zusatzartikel bestimmte, daß die Bestimmungen über den Schluß der Meerengen ihre vollständige Wirkung erhalten sollten, sobald die Räumung des Kriegsschauplatzes von Seiten der Alliirten bewerkstelligt worden wäre. Der erste Anhang betrifft den Schluß der Meerengen; es wird in demselben im Wesentlichen der Vertrag von 1841 von Neuem bestätigt, in Friedenszeiten sollen die Dardanellen u. der Bosporus für nichttürkische Kriegsschiffe geschlossen bleiben, der Sultan behält sich aber vor denjenigen leichten Fahrzeugen, welche zum Dienst der Gesandtschaften befreundeter Mächte verwendet werden, Fermane für die Durchfahrt auszustellen; dieselbe Ausnahme trifft die Fahrzeuge, welche die contrahirenden Mächte nach Maßgabe des Friedensvertrages an den Donaumündungen aufzustellen berechtigt sind u. deren von jeder Macht nicht mehr als zwei sein dürfen. Der zweite Anhang behandelt die Übereinkunft über die Fahrzeuge der Uferstaaten im Schwarzen Meere u. enthält die Bestimmung, daß Rußland sowohl als die Türkei nur je sechs Dampfschiffe von 50 Meter Länge im Wasserspiegel u. höchstens 800 Tonnen Tragkraft, u. vier leichte Dampf- od. Segelschiffe von nicht über 200 Tonnen Tragkraft im Schwarzen Meere halten wollen. Der dritte Anhang endlich betrifft die Ålandsinseln, Rußland erklärt auf denselben keine Befestigungen, auch keine militärischen od. See-Etablissements weder erhalten, noch neu errichten zu wollen.

Obgleich mit der Annahme dieses Friedensinstrumentes die Conferenzen als beendigt angesehen werden konnten, traten die Bevollmächtigten auf Einladung des Grafen Walewski doch noch zu einigen Sitzungen zusammen (Nachconferenzen), um einige Fragen zu erledigen. Zunächst (am 2. April) einigte man sich dahin, daß der Waffenstillstand sich auch auf die Seeblockade erstrecken solle, so daß die seit dem 30. März gemachten Prisen an die Russen zurückgegeben wurden. In einer andern Sitzung am 4. April einigten sich die Bevollmächtigten der kriegführenden Parteien noch dahin, daß die Zurückziehung der Truppen von den besetzten Gebieten möglichst schnell erfolgen, daß ferner die Commission für die bessarabische Grenzregulirung sich am 6. Mai in Galacz versammeln u. ihre Arbeiten nach Kräften beschleunigen solle. In der Sitzung am 8. April wandte sich die Verhandlung einer Reihe ganz neuer Gegenstände zu; Graf Walewski erwähnte zunächst die Zustände Griechenlands u. des Kirchenstaats u. die in diesen Staaten noch stattfindende Besetzung durch die Westmächte u. Österreich; dann sprach er sich mißbilligend über die vom König von Neapel angewendete Strenge aus, suchte auch die (dem Kaiser von Frankreich so unbequeme) belgische Presse zu einem Gegenstand der Erwägung anzuempfehlen u. machte zum Schlusse den Vorschlag, der Congreß möge seiner Thätigkeit durch Berathung u. Ausstellung eines neuen allgemeinen Seekriegsrechts einen passenden Abschluß verleihen. In keiner der angeregten Fragen kam es zu einem Beschlusse, nur über das vorgeschlagene neue Seekriegsrecht fand eine Einigung am 16. April statt. Nun trafen im Laufe der zweiten Hälfte des April die Ratificationen des Friedensvertrages aus den verschiedenen Hauptstädten in Paris ein u. wurden hier am 27. April ausgewechselt.

Es haben sich zahlreiche Stimmen erhoben, welche die Überzeugung aussprechen, daß die Orientalische Frage mit diesem Frieden nicht nur nicht entwirrt, sondern im Gegentheile ihre Fäden zu einem noch unlösbareren Knoten geknüpft worden seien; sie glauben, daß der Vertrag vom 30, März 1856 Nichts enthalte, als einen Waffenstillstand, daß der durch ihn beendigte Krieg nur der Anfang vom Ende noch größerer Kämpfe sei, in welchen der Osten u. Westen Europas ihre natürlichen u. künstlichen Hülfsmittel in die Wagschale legen werden, um sich gegenseitig ein Übergewicht abzuringen. Und in der That, erwägt man, daß Rußland trotz der großen Wunden, welche ihm der Krieg geschlagen, im Verhältniß zu seinen Hülfsmitteln, doch nicht wesentlich geschwächt worden ist, daß die unbedeutende Gebietsabtretung (222 QM) kaum in Anschlag gebracht werden kann, daß es in den letzten Jahren in Asien Gebietserwerbungen gemacht hat, welche den Verlust an Umfang mehr als hundert Mal ersetzen, daß es noch immer an den Küsten des Schwarzen Meeres steht u. an der türkischen Grenze in Asien, ein nur um so gefährlicherer Nachbar für die Türkei, je mehr diese durch den Krieg in ihrer Ohnmacht blosgelegt ist, je öfter deren Schwäche offen ausgesprochen worden ist: so darf man annehmen, daß der Streit über kurz od. lang von vorne beginnen werde. Die Opfer, welche der Krieg von den betheiligten Mächten erheischt hatte, waren sowohl an activen, als an passiven Kriegsmitteln ungeheuer; Frankreich allein hatte bei seiner Orientarmee nach den officiellen Berichten einen Verlust von 70,000 Mann, der der türkischen Armee muß noch höher in Anschlag gebracht werden, überhaupt kann man den Gesammtverlust der Verbündeten während der Dauer des Krieges auf 300,000 Mann anschlagen; der Rußlands kann nicht geringer gewesen sein. Frankreich hatte für den Krieg seine Staatsschuld um 2500 Mill. Francs vermehrt, England die seinigen um 1900 Mill. Francs, die Türkei um 500 Mill. Francs, Sardinien um 75 Mill. Francs; Rußlands Erhöhung der Staatsschuld betrug 1300 Mill. Francs. Die Verluste aber, welche dem Privateigenthum auf den Kriegsschauplätzen zugezogen die durch das Darniederliegen des Handels zwischen den kriegführenden Parteien allen Staaten Europas, auch den am Kriege nicht direct betheiligten welche in Folge der nothwendig gewordenen, außerordentlichen militärischen Maßnahmen auch für die deutschen Mächte herbeigeführt worden sind, können gar keiner Berechnung unterliegen. Und was haben die Staaten dagegen gewonnen? Frankreich hat seine Stellung im europäischen Staatensystem gehoben, sich die überwiegende Stimme im Rathe[624] der Großmächte zugelegt; England hat militärisch wie politisch in keinerlei Weise sein Ansehen vor der Überflügelung durch den verbündeten Nachbar zu bewahren gewußt; die Türkei verdient mehr denn zuvor den Namen eines kranken Mannes, die von den Mächten selbst angebahnten Reformen in Bezug auf die christlichen Unterthanen stellen die Pforte in ihrem Bestehen mehr in Frage, als es je der Fall war. Andererseits ist Rußland zwar geschwächt u. der Glaube an seine Macht wie sein politischer Einfluß wesentlich vermindert worden, der Krieg aber hat dazu seine innere Entwickelung in commercieller Beziehung gewaltig gehoben, die Industrie hat begonnen sich selbstthätig zu entfalten, große Eisenbahnbauten sind in Angriff genommen worden, um nach allen Richtungen hin das weite Gebiet des Reichs zugänglich zu machen, die Erfahrungen, welche durch den Krieg für die Mängel der socialen u. militärischen Institutionen gewonnen worden sind, bieten der russischen Regierung ein großes Feld der Thätigkeit, in allen Zweigen der Verwaltung werden Verbesserungen ins Leben gerufen, welche berechnet sind, den inneren Hülfsmitteln des Reiches eine raschere Entwickelung zu ermöglichen. Österreich aber hatte wohl an Einfluß im Orient gewonnen, doch aber nur um den Preis großer finanzieller Opfer u. der Feindschaft Rußlands, die ihm in den schon damals sich vorbereitenden italienischen Händeln sehr nachtheilig werden mußte.

Vgl. Die Kriegsführung im Orient, Denkschrift von einem hohen Offizier (muthmaßlich von Prinz Napoleon), aus dem Französischen, Berl. 1855; Der Feldzug in der Krim, Lpz. 1855 u. 56,4 Hsie.; Rüstow, Der Angriff auf die Krim u. der Kampf um Sewastopol, Frauenfeld 1855; Derselbe, Der Krieg gegen Rußland, Zürich 1855; I. von Jasmund, Actenstücke zur Orientalischen Frage, Berl. 1855 f.; Bazancourt, Der Feldzug in der Krim bis zur Einnahme von Sewastopol, herausgeg. von Baron de B., aus dem Französischen übersetzt, Pesth u. Wien 1856, 2 Bde.; Pflug, Unter dem Doppeladler, Geschichte des Feldzugs in der Krim, nach Mittheilungen aus dem Tagebuche eines deutschen Arztes in russischen Diensten, 3. Aufl. Berl. 1856; Anitschkow, Der Feldzug in der Krim, aus dem Russischen übersetzt von G. Baumgarten, ebd. 1857, 3 Thle.; Briefe aus dem Hauptquartier von einem Offizier des englischen Stabes, übersetzt aus dem Englischen von F. S., ebd. 1857, 2 Bde.; Der Krieg gegen Rußland 1853–56, von I. M. R. A., einem österreichischen Offizier, Wien 1857; Niel, Siège de Sebastopol, Par. 1858; Mc. Clellan, Bericht über die Operationen in der Krim, Stuttg. 1859; Guerre d' Orient (1854–56), Par. 1859, 2 Bde.; Weigelt, Die Belagerungen Sewastopols 1854–56, Berl. 1861.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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