Russische Literatur

Russische Literatur

Russische Literatur. Die Geschichte der R-n L. zerfällt in zwei Hauptperioden; die erste reicht von der Erfindung des Corillischen Alphabets bis zur Einführung des sogen. Civillypus; die zweite Periode beginnt mit Peter dem Großen u. reicht bis auf unsere Zeiten. I. In der ersten Hauptperiode, in welcher es noch keine eigentliche Nationalliteratur gibt, lassen sich wieder drei Zeiträume abgrenzen, der erste derselben reicht bis zur Einführung des Christenthums in Rußland, der zweite bis zur Vertreibung der Tataren, der dritte bis zur Thronbesteigung Peters des Großen. A) Den Beginn der R-n L. bezeichnet in politischer Hinsicht die Gründung des Russischen Reiches durch die normannischen Warägerfürsten Rurik, Sinens u. Truwor. Durch die Einwanderung der Waräger wurde die eigentliche Bildung der Slawen von Nowgorod u. Kiew nur wenig gefördert, da diese Waräger selbst in Bezug auf Bildung u. Gesittung nicht viel höher standen; erst der Verkehr mit Byzanz u. bes. die Einführung des Christenthums in Rußland gegen das Ende des 10. Jahrh. öffneten der Wissenschaft u. Kunst den Weg. Unter Wladimir I. (981–1015) wurden Schulen errichtet, zogen byzantinische Gelehrte in Rußland ein, kamen aus Griechenland die Künste der Architektur, Sculptur u. Malerei. Die Beschaffenheit der damaligen Russischen Sprache ist uns völlig unbekannt; der Einfluß der Waräger auf dieselbe war unbeträchtlich u. läßt sich nur noch in einzelnen Wörtern normannischen Ursprunges nachweisen. Einen weit größeren Einfluß auf die Gestaltung der Russischen Sprache übten die von Cyrill u. Method im 9. Jahrh. in kirchenslawischer Sprache verfaßten liturgischen Bücher; es wurden, in Rußland zwei Sprachen einheimisch, die kirchenslawische, welche lange Zeit hindurch ausschließend die Schrift- od. Literalsprache der Russen blieb u. einmal durch die Bibel u. Kirchenbücher fixirt, nur wenigen Veränderungen unterworfen wurde; u. die russische Volkssprache, welche im Laufe der Zeit mancherlei Umbildungen u. Veränderungen, theilweise auch den Einfluß der Kirchensprache erfuhr. Ein eigentliches Denkmal der russischen Volkssprache aus dieser Zeit ist nicht auf die Nachwelt gekommen; einige alte Volkslieder, welche Reste des Heidenthums bewahren, können wohl ihren Ursprung in diesem Zeitraum haben, sie sind aber durch mündliche Fortpflanzung vielfach geändert auf uns gekommen. Auch die kirchenslawische Literatur blieb in der Hauptsache auf die Übersetzung der Bibel u. die Kirchenbücher beschränkt. Die außerdem auf uns gekommenen Tractate der Fürsten Oleg u. Igor mit den Griechen (von 912 u. 945) u. die Rede Swätoslaws (965–970) an seine Kampfgenossen gehören zwar dieser Periode an, doch scheint es, daß erstere von Nestor erst aus dem Griechischen in das Slawische übersetzt wurden u. daß in der letzteren nicht die eigentlichen Worte des Helden wiedergegeben worden seien. B) Von der Einführung des Christenthums bis zur Besiegung der Tataren (989–1462). Jaroslaw (1018–54), welcher die Religion u. Bildung liebte, berief viele Griechen aus Constantinopel nach Rußland, ließ die Übersetzung kirchlicher Bücher fortsetzen u. schickte Geistliche zur Belehrung des Volkes in alle Theile des Reiches. Das wichtigste Denkmal seiner Zeit ist die Prawda ruskaja, d.i. russisches Recht (1737 von Tarischtschew aufgefunden, herausgeg. von Schlözer, Petersb. 1767, u. von Rakowiecki, Warschau 1820–22, 2 Bde.). Überhaupt stand Rußland in dieser Zeit auf einer ziemlich hohen Stufe der Cultur; die Geistlichkeit zeichnete sich durch Liebe zur Wissenschaft u. durch [476] Gelehrsamkeit aus, die Mönche pflegten Wissenschaften u. Künste; aus den Klöstern gingen Schriftkundige (Diak) hervor, welche verschiedene weltliche Ämter bekleideten. Unter den Nachfolgern Jaroslaws zeichneten sich durch Liebe zu den Wissenschaften aus Wladimir II. Monomach (1114–25) u. Constantin (1217–18), der Erstere nimmt eine namhafte Stelle unter Rußlands frühesten Schriftstellern ein. Dieses auskeimende Culturleben wurde durch die Einfälle u. die Herrschaft der Tataren vernichtet. Im Laufe des 13. u. 14. Jahrh. gab es in ganz Rußland keine öffentliche Schule, u. nur bei der russischen Geistlichkeit, welche von der Politik der Tataren geschont wurde, fanden die Wissenschaften eine Zuflucht; die Verbindung mit Byzanz dauerte fort u. von dort wurden Bücher nach Rußland gebracht. In Moskau wurde die Metropolitan späterhin Patriarchalbibliothek errichtet. Die Büchersprache blieb während dieses Zeitraumes noch immer die Kirchenslawische, nur daß deren älterer Styl sich im 14. Jahrh. zum mittleren umwandelte, welcher dann bis in das 17. Jahrh. Geltung behielt. Die eigentliche Literatur gewann einen größeren Spielraum; neue theologische Schriften, Jahrbücher u. Dichtungen kommen zum Vorschein, auch wurden mehre historische u. moralische Erzählungen aus dem Griechischen übersetzt, wie von der Tapferkeit Alexanders des Großen aus Arrian, von den Helden des Alterthums, von den Gottheiten Indiens etc. Den Mittelpunkt des Sagenkreises, welchen die Volkslieder dieser Zeit angehören, bildet der Fürst Wladimir mit seinen Rittern, ähnlich dem fränkischen Karl u. englischen Artus. Der Inhalt der Heldensage ist folgender: Tugarin fordert Rache von Wladimir, weil dieser seine Tochter ohne Erlaubniß geheirathet; Tugarin wird von Rogdai (welcher ungeboren u. seiner Mutter aus dem Leibe geschnitten ist) getödtet. Der zweite Held ist Ilga, welcher den Räuber Nachtigall erlegte, der die Wege unsicher machte; Tschurilo, eines Sattlers Sohn, ist der Drachenbekämpfer; Dobrina wird von der Zauberin Marina in einen Stier verwandelt u. kann nicht eher erlöst werden, als bis sie Christin geworden ist. Unter die den Helden (Bogatyren) feindlichen Wesen gehört Kaschtschei, ein mißgestalteter, wunderlicher u. starker Zauberer; er entführt die schöne Milolika u. hält dieselbe auf seiner Burg gefangen; sie wird erlöst von Tschurilo, durch Unterstützung der Hexe Jaga Baba; da Kaschtschei den Tschurilo verfolgte, wurde ein Hügel auf ihn gestürzt, u. seitdem wandelt nur sein Geist umher. Ernsteren Inhaltes ist das Lied der Heldensage, in welchem die Liebe Wladimirs u. seines Sohnes Mstislaw zur Swetlana dargestellt wird, welche endlich der Sohn noch heirathet; u. seine Verhältnisse zur Rogneda, welche er bald nach der Vermählung verstieß u. nachher in Gefahr kam, von ihr ermordet zu werden; Isäslaw, Rognedas u. Wladimirs Sohn, rettete die Mutter vor dem Zorn des darüber entrüsteten Vaters. Außerdem werden in den russischen Volksliedern die Helden Filipat u. Tschinagrip genannt, die Entführung der Stratigowna u. die Hochzeit der Dowginiwa erwähnt. Das deutsche Gedicht: Fürst Wladimir u. seine Tafelrunde, Lpz. 1819, ist eine Nachbildung der Wladimirssage, entstanden aus Rumänzows Sammlung altrussischer Lieder. Eine gleiche Sammlung veranstaltete Fürst Certeleff, Petersb. 1822, 2 Bde., u. viele der neueren nationalen Lieder, welche Liebe u. Krieg, Fest u. Spiel besingen, u. von denen viele den gefeiertsten Dichtern Rußlands angehören, finden sich in Ostolopows Wörterbuch der alten u. neuen Dichtkunst, Petersb. 1811. Am berühmtesten unter diesen Dichtungen ist Igors Zug gegen die Polowzer u. Rede an Igors Heer, aus dem 12. Jahrh. (1796 von dem Grafen Mussin-Puschkin aufgefunden u., Moskau 1800 u.ö. herausgegeben; mit deutscher Übersetzung von Hanka, Prag 1821, u. von Bolz, Berl. 1854). Diese russischen Volkslieder sprechen echt national Freude u. Kummer, jugendliche Keckheit u. jungfräuliche Munterkeit aus; in ihnen zeigt sich schon im Reime die bewunderungswürdige Bieg- u. Bildsamkeit, welche die russische Volkssprache auszeichnet. Die Prosadenkmäler aus diesem Zeitraum sind sämmtlich in kirchenslawischer Sprache geschrieben. Die bedeutendsten unter denselben sind die chronistischen Werke, unter denen Nestor (s.d.), der Vater der russischen Geschichte, obenan steht. Nestors Chronik ist für die gesammte Geschichte des Mittelalters überaus wichtig u. bildet die Grundlage der slawischen Geschichte; er erzählte theils nach der Tradition, theils was er selbst erlebt hatte. Verfasser anderer Specialchroniken bis 1630 herab nahmen in denselben in der Regel erst Nestors Annalen auf u. reihten daran die Geschichte ihrer Zeit. Unter Iwan Wassiljewitsch wurden die Chronographen sehr beengt u. unter Alexei Michailowitsch im 17. Jahrh. verstummten sie ganz. An sie reihen sich die Stufenbücher, d.i. Auszüge aus Jahrbüchern, geordnet nach den Stufen, d.i. Verwandtschaftsgraden der Fürsten, welche jedoch schon meist der späteren Zeit angehören, sowie eine Menge andere Geschichtsbücher, welche aus griechischen Büchern übersetzt sind u. in denen nur die Angaben über russische Geschichte den Verfassern eigenthümlich angehören. Bücher dieser Art werden bes. seit dem 17. Jahrh. reichhaltig u. wichtig. Nächst Nestor sind als Hauptwerke zu nennen: die Jahrbücher Simons des Heiligen, Bischofs von Susdal (gest. 1226), das Stufenbuch des Metropoliten Cyprian (gest. 1406) u. die Sophienchronik (von 862–1534), herausgeg. von Strojew, Moskau 1820–22, 2 Bde. Andere Schriftsteller dieses Zeitraumes sind: Lukas Zirjata, Bischof von Nowgorod (gest. 1059), Nikiphor, Metropolit von Rußland (gest. 1121), der Großfürst Wladimir Monomach (gest. 1125), Cyrill, Metropolit von Kiew (gest. 1281), u. Photius, ebenfalls Metropolit von Kiew (gest. 1431), zeichneten sich als Kanzelredner aus; Sylvester, Bischof von Perejaslawl (gest. 1124), Niphont, Johann, Priester von Nowgorod, Timothej u. m. a. werden als Fortsetzer der russischen Jahrbücher genannt, welche bis Alexei Michailowitsch (1645–76) ununterbrochen fortlaufen u. als Quellen der slawisch-russischen Geschichte das schätzbarste Vermächtniß jener Zeit sind. C) Die dritte Stufe in der Geschichte der Entwickelung der älteren literarischen Cultur in Rußland reicht von der Vertreibung der Mongolen u. Tataren bis zur Alleinherrschaft Peters des Großen (1462–1689). Die R. L. nahm einen neuen Aufschwung, wenn die Fortschritte auch nur langsam erfolgten. Gelehrte u. Künstler kamen aus Griechenland u. aus Italien nach Rußland u. weckten unter den Eingeborenen die Sehnsucht nach gleicher Ausbildung; unter Iwan IV. Wasiljewitsch (1533–1584) kamen englische u. deutsche [477] Ärzte u. Apotheker, auch begann dieser Czar in den Städten Schulen für die Jugend aller Stände zu errichten. Die erste Buchdruckerei trat 1564 zu Moskau in Wirksamkeit. Czar Boris (1598–1605) ließ adelige Jünglinge im Auslande studiren, pflegte selbst die Mathematik u. ließ seinem Sohne eine gute Erziehung geben. Zu einer gewissen Bedeutsamkeit gelangten jedoch diese Bestrebungen erst, nachdem durch Michael Romanow (1613–45) das politische Dasein des Staates begründet war u. nun die Städte u. der Handel zu erblühen anfingen. Im Jahr 1643 wurde in Moskau eine griechisch-lateinisch-slawische Lehranstalt errichtet; unter Alexei Michailowitsch (1645–76) wurden zahlreiche deutsche Offiziere, Künstler u. Handwerker nach Rußland berufen, viele ausländische Bücher in das Russische übersetzt u. eine Sammlung russischer Landesgesetze, Uloschenie(Mosk. 1649), veranstaltet. Überhaupt waren dieser Czar u. sein Nachfolger Fedor III. (1676–82) würdige Vorgänger Peters des Großen, welche die Materialien vorbereiteten, aus denen der Letztere den Bau seines großen Werkes vollendete. Wissenschaften u. Künste schlugen bes. nach Einverleibung von Kleinrußland u. der Kiewer theologischen Akademie (gestiftet 1588) immer tiefere u. festere Wurzeln im Lande; die Buchdruckereien in Moskau, Kiew, Tschernigow, Nowgorod u. einigen Klöstern suchten gleichen Schritt mit denen im Auslande zu halten. Seit Ende des 16. Jahrh. bis zu Anfang des 18. Jahrh. machte sich aber in Folge des Verkehres mit Polen u. der Herrschaft der Letztern im südlichen Rußland das Polnische in der R-n L. immer geltender. Viele unter den geistlichen Schriftstellern bedienten sich ausschließlich der Polnischen Sprache, doch wurde in Moskau fortwährend die Landesmundart in allen schriftlichen Verhandlungen u. Urkunden gebraucht. Es gab daher in dem Jahrhundert vor Peter dem Großen gewissermaßen drei Schriftsprachen in Rußland: die Altslawische Kirchensprache in den liturgischen Büchern u. allen theologischen Schriften; die eigentlich Russische im Munde des Volkes u. den Titelschriften; die Weißrussische in den Werken russischer Schriftsteller in den polnischrussischen Provinzen. Erst in den letzten Decennien des 17. Jahrh. fing die Russische Sprache allmälig an die Fesseln der Polnischen abzuwerfen u. sich selbständig zu gestalten. Zu Ende des 16. u. im Anfange des 17. Jahrh. war die Literatur beinahe ganz in den Händen der Geistlichkeit, im Laufe des 17. kommen neben den theologischen auch schon historische u. poetische Werke von Nichtgeistlichen zum Vorschein. In der Poesie fand die quantitirende Versmessung keinen Beifall, um so mehr die blos reimende polnische; in den Volksliedern jedoch erhielt sich das hergebrachte einheimische u. originelle Versmaß. Im Anfange des 17. Jahrh. zeigen sich die ersten Spuren der dramatischen Kunst; theatralische Vorstellungen kamen aus Polen nach Kiew, wo geistliche Dramen von Studenten aufgeführt wurden; in Moskau wurde erst 1626 auf Verwendung des A. Sergiejewitsch Matwiejew der Anfang mit der Schauspielkunst gemacht; unter Fedor III. wurde das erste weltliche Drama, Molières Arzt wider Willen, in russischer Übersetzung, auf dem Privathoftheater gegeben. Als namhafte Schriftsteller dieser Periode sind zu nennen: Makarius, Metropolit von Moskau (gest. 1564), verfaßte Lebensbeschreibungen der Heiligen (Tschetiiminei), schrieb Reden u. besorgte die Abfassung u. Ergänzung der Stufenbücher; Laur. Zizania, Erzpriester zu Korec in Lithauen, gab u.a. eine slawische Grammatik (Wilna 1596) heraus; der erwähnte Matwiejew (1625–82), Minister des Czars Alexei Michailowitsch, welcher sich um russische Bildung u. Sprache sehr verdient machte u. mehre geschichtliche u. heraldische Werke verfaßte; Lazar Baranowitsch, Erzpriester von Tschernigow u. Nowgorod (gest. 1693), ausgezeichnet durch Vertheidigung der Russischen Kirche gegen deren Gegner; Peter Mogila, Metropolit von Kiew (gest. 1647), welchem die Akademie in Kiew ihre neue Einrichtung verdankt u. welcher u.a. auch verschiedene Gedichte im sylbenzählenden Versmaß verfaßte. Sonst sind als hervorragende Beförderer der Literatur zu nennen: Nikon, Patriarch von Rußland (gest. 1681), welcher u.a. eine Sammlung der russischen Jahr- u. Stufenbücher, sowie der griechischen Chronographen bis 1620, veranstaltete (Nikonow spisok, Petersb. 1767–92, 8 Bde.), u. der Fürst Konstantin von Ostrog, Wojewode von Kiew u. Marschall von Volhynien, zu seiner Zeit der größte Beförderer der literarischen Cultur im westlichen Slawenlande, welcher u.a. in Ostrog eine cyrillische Buchdruckerei errichtete, in welcher 1581 zuerst die ganze Bibel in Altslawischer Sprache gedruckt wurde.

II. In der zweiten Hauptperiode der Geschichte der R-n L., welche von dem Regierungsantritt Peters des Großen bis auf die neueste Zeit reicht, lassen sich ebenfalls drei Stufen der Entwickelung, wahrnehmen, welche durch die Bestrebungen Lomonossows unter der Kaiserin Elisabeth, sowie die Karamsins im Zeitalter Alexanders I. abgegrenzt werden. A) Peter der Große ist der Schöpfer der gegenwärtigen russischen Nationalbildung; von ihm datirt erst eine selbständige R. L. in Russischer Sprache, insofern die vorausgegangenen literarischen Leistungen, mit Ausnahme der Volkspoesie, mehr der Slawischen Literatur überhaupt angehören. Da jedoch der Czar eine R. L. so schnell als möglich eingeführt wissen wollte u. die vorhandenen Keime zu einer nationalen Literatur gänzlich unbeachtet ließ, so konnte die neu erstehende R.L. sich nicht so bald zu einer wirklich nationalen entwickeln, dieselbe wurde vielmehr nach den Literaturen der Länder, welche der Czar selbst gesehen u. kennen gelernt hatte, bes. nach der deutschen, französischen u. holländischen, sogleich gemacht. Peter erhob nicht nur das Russische zur allgemeinen Geschäfts- u. Schriftsprache, sondern ließ aus den genannten Sprachen auch viele Schriften in dasselbe übersetzen. Indem man hierbei jedoch nur den Zweck vor Augen hatte, das russische Volk mit europäischen Sitten, Künsten, Gewerben u. Kenntnissen bekannt zu machen u. deshalb mehr auf den Inhalt der Bücher, weniger auf die Gestalt, die Worte u. den Styl sah, so geschah es, daß die Russische Sprache, welche acht Jahrhunderte neben dem Kirchenslawischen herangewachsen war, mit ihrer Emancipation auch viele, zum Theil nicht vortheilhafte Veränderungen erfuhr. Die neu entstandene Schriftsprache bildete bald ein buntes Gemisch von Altslawischem, Gemeinrussischem u. Ausländischem: viele ausländische Wörter u. Redensarten, vorzüglich behufs der nautischen u. militärischen Wissenschaften, wurden aus dem Holländischen u. Englischen in das Russische aufgenommen. Zwischen den Verfechtern der altslawischen u. gemeinrussischen Sprache entstand überdies[478] ein Streit; außer Kantemir u. einigen Kanzelrednern schuf sich keiner der Schriftsteller dieser Zeit eine eigenthümliche, echtrussische Sprache für ihre Erzeugnisse. Von einer russischen Grammatik war noch keine Rede; die Orthographie blieb fortwährend schwankend, wie die Schreibart selbst; die Poesie wurde von den sylbenzählenden Reimen beherrscht. Peter der Große hatte mit seinen literarischen Bestrebungen nur die Bildung seines Volkes u. die Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse vor Augen; zum Behuf des Unterrichts der Jugend aller Stände ließ er verschiedene Lehranstalten errichten, legte durch Ankäufe in Holland den Grund zum Petersburger Museum, errichtete nach einem von Leibnitz entworfenen Plane die Akademie der Wissenschaften, welche jedoch erst von Katharina I. 1725 eröffnet werden konnte, u. fügte derselben eine der Bildung künftiger Lehrer gewidmete Anstalt bei, welche bis 1762 Universität hieß. Um 1704 entwarf er die Grundzüge der gegenwärtigen russischen Druckschrift, indem er den schwerfälligen cyrillischen Buchstaben mehr Rundung gab, u. nach seinen Angaben wurden zu Amsterdam, wo schon vorher seit 1699 der von Peter privilegirte Buchdrucker Tessing russische Bücher druckte, die russischen Lettern gegossen, mit welchen man 1705 in der geistlichen Druckerei zu Moskau die ersten russischen Zeitungen druckte. 1711 wurde in Petersburg die Ukasendruckerei eingerichtet u. hier 1713 das erste Buch, 1714 die erste Zeitung gedruckt. Peter bereitete somit wohl den Boden für eine russische Nationalliteratur, aber er selbst sah sie nicht; die Schriftsteller seiner Periode, Zöglinge des vorigen Jahrhunderts, tragen alle Zeichen der Zeit, welcher sie angehören. Ein russisches Theater gab es unter Peter noch nicht; das Aufführen geistlicher Dramen wurde in den Seminarien fortgesetzt; 1730 wurde bei Hofe ein italienisches u. 1738 ein deutsches Theater eröffnet. Unter den Dichtern dieser Periode ist der bedeutendste Fürst Kantemir (1708–44), der Begründer der weltlichen russischen Poesie u. durch seine Satyren ausgezeichnet; neben ihm sind noch Semen Klimowsky, ein Kosack (um 1724), u. Cyrill Danilow, ebenfalls ein Kosack aus Kiew, als Dichter leichter Lieder, Letzter auch als Sammler von russischen Gesängen aller Art zu nennen. Trediakowsky (1703–1769) hat sich weniger durch seine eigenen geschmacklosen Poesien, als vielmehr durch seine Beleuchtungen der Natur der russischen Verskunst u. seine Versuche antike Versmaße einzuführen in der Geschichte der R. L. eine Stelle gesichert. Unter den übrigen Schriftstellern dieses Zeitraums sind auszuzeichnen: Demetrius, Metropolit von Rostow (1651–1709), welcher Lebensbeschreibungen der Heiligen u. geistliche Schauspiele verfaßte; Steph. Jaworsky, Metropolit von Riäsan (1658–1722), welcher als Kanzelredner Vorzügliches leistete; Theophan Prokopowitsch, Erzbischof von Nowgorod (1681–1736), Peters des Großen treuer Gehülfe bei der Begründung der russischen Nationalcultur, welcher zahlreiche historische u. theologische Schriften hinterließ; der Mönch Nicodem Sselly (gest. 1746), welcher viel für russische Geschichte sammelte, Basil. Nitilitsch Tatischtschew (1686–1750), welcher Istorija rossijskaja (1769–84, 4 Bde.), u. Steph. Petrowitsch Krascheninnikow (gest. 1755 als Professor der Botanik in Petersburg), welcher u.a. Kamtschatka beschrieb (1755, 2 Bde.).

B) Hatte nun auch Peter der Große auf diese Weise eine Literatur in Russischer Sprache hervorgerufen, so war doch zugleich auch ein Zwiespalt zwischen dem Fremdländischen u. dem Nationalen in dieselbe gekommen, u. es währte noch geraume Zeit, ehe diese verschiedenen Elemente sich zu einem organischen Ganzen gestalteten. Der Anfang hierzu wurde in der Regierungszeit der Elisabeth u. Katharina II. gemacht (1741–96). Elisabeth liebte Wissenschaft u. Kunst u. betrachtete dieselben als eine besondere Zierde ihres mit Pracht u. Glanz umgebenen Hofes; sie vermehrte daher 1747 die Einkünfte der Akademie der Wissenschaften, stiftete 1752 das Seecadettencorps, 1755 die Moskauer Universität u. legte 1758 zur Petersburger Akademie der Künste den Grund. Ihre Bestrebungen fanden an dem Fürsten Schuwalow die thätigste Unterstützung. Katharina, die Pläne Peters des Großen in ihrem ganzen Umfange bewußtvoll auffassend, wirkte zunächst von ihrem Umgebungskreise aus auf Achtung des Schönen u. Nützlichen hin, sie selbst liebte die Wissenschaften an sich u. als Mittel der Veredelung der Sitten u. somit der Wohlfahrt ihres Volkes. Das Bestreben von Ausländern zu lernen u. Westeuropa mit angestrengter Thätigkeit nachzueifern beseelte durch sie den edleren Theil der Nation. Schriftsteller wurden unterstützt, Bildungsanstalten aller Art u. Volksschulen durch das ganze Reich errichtet, so wurde 1762 das Ingenieur- u. Artilleriecadettencorps, 1764 das Erziehungshaus in Moskau u. 1770 das in Petersburg, 1764 die Gesellschaft für Erziehung adeliger u. bürgerlicher Mädchen begründet, 1764 die Akademie der Künste erweitert, 1772 das Bergwerksinstitut errichtet. Während 1783 die kaiserlich russische Akademie zur Vervollkommnung der Sprache u. Geschichte, 1765 die Ökonomische Societät, die Chirurgische Lehranstalt gestiftet wurden, mußten Mitglieder der Petersburger Akademie, wie Pallas, Falk, Georgi, Güldenstädt, Rytschkow, Rumowsky, Gmelin, Lepechin, Kraft, Hermann u. A. wissenschaftliche Reisen in verschiedene Gegenden des Reiches unternehmen u. die Berichte über dieselben herausgeben. 1783 wurde die Errichtung von Buchdruckereien freigegeben. Unter der Regierung Pauls I. (1796–1801) kam noch die Errichtung der Universität Dorpat zu Stande. Das ausländische Element hatte indessen bei dem Adel u. dem Beamtenstande einen so ausgedehnten Einfluß gewonnen, daß der letztere Czar eine Landessperre gebot. In der Literatur blieb in diesem Zeitraume die von Lomonossow (s.d.) eingeschlagene Richtung herrschend, welcher am Anfang desselben der Russischen Sprache u. Schreibart eine neue Gestaltung verlieh. Er zog zuerst zwischen dem Altslawischen u. dem Russischen eine genaue Grenze u. führte Letzteres, das Übergewicht des Großrussischen befestigend, in feste Grenzen zurück; er schrieb zuerst eine reine echte russische Prosa, gab der lyrischen Dichtung ein eigenthümliches Versmaß u. entwarf die Regeln der russischen Grammatik. Die Poesie, die Beredtsamkeit, die Geschichte u. die Naturwissenschaften haben ihm gleichviel zu danken. Obgleich Trediakowskys schwerfällige Schreibart, sowie Theophans u. Gabriels unreine Sprache noch lange die russische Prosa trübten, so traten doch schon im Zeitalter Katharinas die meisten Schriftsteller allmälig in die Fußtapfen Lomonossows u. richteten sich mehr od. minder nach den von ihm gegebenen Regeln u. [479] Mustern. Die Sprache der lyrischen Poesie erhielt durch Derschawin neues Leben; der diplomatische Geschäftsstyl wurde durch Teplow, Bezborodko, Zawadowsky u. Chaprowicky vortheilhaft ausgebildet; Bogdanowitsch u. Chemnicer übertrafen durch Leichtigkeit u. Einfachheit der Schreibart ihre Zeitgenossen. Mit Elisabeth fängt die R. L., welche bis dahin gewissermaßen nur in Bruchstücken vorhanden war, an sich zu einem selbständigen, geschlossenen Ganzen zu gestalten; 1755 begann Müller ein Russisches Literaturblatt herauszugeben, welches fast alle damaligen russischen Dichter zu Mitarbeitern hatte, u. fand bald andere als Nachfolger. Die Akademie, welche ein Wörterbuch u. eine Grammatik der Russischen Sprache lieferte, zählte ausgezeichnete Literatoren unter ihren Mitgliedern. Ein russisches Theater kam auf, zuerst durch Theodor Wolkow in Jaroslawl 1746, welcher dann nach Petersburg, wo schon früher Sumarokows Trauerspiele von Dilettanten gegeben worden waren, übersiedelte, die Bühne besser organisirte u. durch einen Ukas von 1754 Bestätigung erhielt; 1759 erfolgte die Errichtung des Moskauer russischen Theaters u. unter Katharina wurde das russische Theater aus einem Hoftheater zu einem wahren Nationaltheater. Unter den dramatischen Dichtern dieser Zeit ist zuerst Alex. Petrowitsch Sumarokow (st. 1777) zu nennen, welcher, in der Richtung Lomonossows fortschreitend, zuerst ein regelmäßiges russisches Trauerspiel (sein bestes Werk ist der falsche Dimitri) lieferte. 1764 ließ er seine erste Oper zur Aufführung bringen. Nächst ihm behauptet Jak. Borisowitsch Kniaschuin (1742–1791) die höchste Stelle; von seinen Stücken sind namentlich einige Lustspiele sehr beliebt u. haben sich bis heutigen Tages auf der Bühne erhalten. Auch einige Lustspiele (wie namentlich das Muttersöhnchen, 1782) von Denis Iwanowitsch van Wizin (1745–92), dem ersten Prosaiker seiner Zeit, werden noch jetzt mit Beifall gegeben. Als Tragödiendichter waren zu ihrer Zeit noch angesehen Cheraskow (1733–1807) u. Oserow (1770–1816), welcher Letztere der Zeit nach zwar der folgenden, aber der Sprache nach noch dieser Periode angehört u. der Umbildner des russischen Trauerspiels geworden ist. Außerdem verdienten als dramatische Dichter in dieser Zeit noch Erwähnung: Nikl. Petrowitsch Nikolew, dessen bestes Stück Sorena (1781) ist; Wasil. Iwanowitsch Maikow (1725–1778), welcher Trauer- u. Lustspiele verfaßte; Alex. Anisimowitsch Ablesimow (gest. 1784), ein Lustspieldichter, welcher auch Elegien, Erzählungen u. Epigramme schrieb; Dem. Wladimirowitsch Jefimjew (gest. 1804), Alex. Iwanowitsch Kluschin (gest. 1804) u. Pet. Alexiejewitsch Plawilschtschikow (1760–1812), welcher selbst Schauspieler war. Sonst sind als Dichter dieses Zeitraums außer dem erwähnten Cheraskow, welcher wegen zweier Epopöen (Rossijada, 1785, u. Wladimir, 1786) als Homer seiner Zeit gefeiert wurde, mit Auszeichnung zu nennen: Wasil. Petrowitsch Petrow (1736–1799), welcher in seinen Oden die Siege der Katharina II. besang, außerdem Episteln schrieb u. Virgils Äneide übersetzte; Fürst Michailowitsch Dolgoruki (1764–1823), welcher philosophische Oden u. Episteln im Nationalgeschmack verfaßte; Graf Dmtr. Iwanowitsch Chwostow (geb. 1757), welcher lyrische u. didaktische Gedichte lieferte, die zu den besten Erzeugnissen ihrer Art zählen; Sem. Sergiejewitsch Bobrow (gest. 1810), welcher außer vielen lyrischen Poesien das Lehrgedicht Chersonida (1803) verfaßte; Juri Alexandrowitsch Neledinsky-Melecky (geb. 1751), welcher sich durch seine Lieder u. Romanzen einen Namen erworben hat. Der gefeiertste Dichter Rußlands aber unter Katharina II. war Gabriel Romanowitsch Derschawin (1743–1816), dessen lyrische, didaktische u. dramatische Dichtungen in der Geschichte der R-n L. für immer ihren Rang behaupten werden. Seine Poesie wurde der erste Übergangsschritt der russischen Poesie überhaupt von dem Felde der Rhetorik auf das wirkliche Leben. Iwan Iwanowitsch Chemnicer (1744–84) ist der erste russische Fabeldichter (Sumarokows unbedeutende Allegorien abgerechnet), Lafontaine war sein Muster, u. Hippolyt Feodorowitsch Bogdanowitsch (1743–1803) kleidete zuerst die poetische Erzählung in einen leichten, herzlichen u. witzvollen Styl, seine Duschinka 1778 (eine Übersetzung der Lafontaineschen Fabel Psyche), machte großes Aufsehen. Basil Kapnist (st. 1823) schrieb Oden, unter denen sich einige durch ihren elegischen Ton auszeichnen, außerdem das bekannte Lustspiel Die Rechtsverdreher. Die Geschichte hat in dieser Periode ihren Vertreter in Iwan Nikititsch Boltin (1735–92), welcher durch seine Kritischen Bemerkungen zu Leclercs Geschichte Rußlands, Petersb. 1788, 2 Bde., mit Fürst Michael Schtscherbatow (st. 1790 u. schr.: Russische Geschichte, Petersb. 1770 ff.) in einen literarischen Streit gerieth. Überhaupt wurde unter Katharina der Anfang einer russischen Geschichtsschreibung gemacht, während die bisher geschriebenen Chroniken (Lätopisse) als geheime Chroniken des Reichs betrachtet wurden. Katharina selbst gab Denkwürdigkeiten der russischen Geschichte heraus; der Staatsrath Gerh. Friedr. Müller (st. 1783) machte sich durch Veröffentlichung vieler russischer Werke u. Handschriften verdient. Aug. Ludw. Schlözer durch die Herausgabe des Nestor u. durch den Anfang einer russischen Grammatik. Die erste ausführliche russische Statistik schrieb Pleschtschejew (st. 1802), Übersicht des Russischen Reichs, Petersb. 1790, u. Platon, Metropolit von Moskau (st. 1812) verfaßte eine kurze russische Kirchengeschichte, Mosk. 1805. In der Kanzelberedtsamkeit excellirten in dieser Periode Gedeon Krinowsky (st. 1763), Georg Koniwsky (st. 1795), Platon, Johann Lewanda (st. 1814) u. Anastas. Bratnowsky (1761–1816), hinsichtlich des Styls einer der ausgezeichnetsten Redner dieser Zeit. Als Übersetzer (bes. Popes Versuch über den Menschen) verdient noch Popowsky (st. 1760) genannt zu werden. Ein eifriger Beförderer der Aufklärung u. Literatur war Nikolaus Iwanowitsch Nowikow (st. 1818) durch Herausgabe guter Bücher in Russischer Sprache für geringen Preis, durch Errichtung von Buchhandlungen u. die Gründung der ersten Leihbibliothek in Moskau, auch gab er seit 1770 das satyrische Journal Der Maler u. 1773–93 die Alte russische Bibliothek heraus u. schrieb: Versuch eines Lexikons russischer Schriftsteller. In diese Periode, u. ihrer Entstehungszeit nach noch früher, gehört auch eine eigenthümliche Erscheinung in der russischen Volksliteratur, die sogenannten Bastabdrücke, grobe bildliche Darstellungen auf Stein, Zinn od. Kupfer, selten in Holz geschnitten u. von einer besondern Künstlerkaste unter den Bauern fabricirt, welche Versinnlichung religiöser Gegenstände, Darstellungen aus der Geographie u. Geschichte od. humoristische, märchenhafte[480] u. satyrische Dichtungen enthalten, mit nicht selten abenteuerlichen Beschreibungen, alle in dem Ton, der Sprache u. Schrift der Kirche abgehandelt. Dieser der niedern Volksklasse eigenthümliche Literaturzweig, entstanden aus der Sitte Heiligenbilder zu malen, besteht noch jetzt, u. die Productionen werden durch Hausirer im ganzen Reiche verkauft. Beispiele solcher Darstellungen sind: Traum der Mutter Gottes, heiliger Brief unsers Herrn Jesus Christus, die zwölf Freitage, die Jerusalemer Rolle, die bösen Tage, Gesetzgebung auf dem Sinai, das Weltgericht, das Weib von Babylon aus der Offenb. Johannis; abenteuerliche geographische Darstellung der Welttheile mit Beschreibung, Einnahme von Otschakow, Schlacht von Kagul, Scenen aus dem Franzosenkriege; Bestattung eines Katers durch Ratten u. Mäuse, Bittschrift eines Brachsen wider den stachlichen Bars, Gespräch zwischen einem Betrunkenen u. einem Nüchternen, Selbstgespräch eines Jünglings über den Stand der Ehe u.v.a.

C) Von Alexander I. bis zur Gegenwart. Alexander I. fuhr in der Sorge für die Aufklärung seines Volkes fort, wie Peter der Große u. Katharina begonnen hatten, er setzte 1802 ein Ministerium der Volksaufklärung ein, welches seine Thätigkeit damit begann, daß es das Reich in sechs Lehrbezirke eintheilte, für deren jeden eine Universität, für jede Gouvernementsstadt ein Gymnasium, für jede Kreisstadt eine Kreisschule u. für die Colonistenorte Pfarreischulen eingerichtet wurden. Zu den schon bestehenden Universitäten in Moskau, Dorpat u. Wilna kamen noch die neugegründeten Charkow, Kasan u. Petersburg, sowie 1809 durch Erwerbung Finnlands Åbo; viele Schulen wurden errichtet, 1805 die hohe Schule der Jurisprudenz in Petersburg, 1808 die Medicinisch-chirurgische Akademie daselbst u.a. wissenschaftliche Anstalten ins Leben gerufen od. deren Einrichtung verbessert, sowie 1811 die kaiserliche öffentliche Bibliothek in Petersburg eröffnet. Diese Maßregeln der Regierung waren auch von dem Eifer vieler Privatleute begleitet, welche aus eignen Mitteln Schulen u. Gymnasien gründeten u. sich zu wissenschaftlichen u. literarischen Vereinen verbanden, wie in Moskau, Petersburg, Wilna, Kasan. Die Ereignisse der Jahre 1812 u. 1813 hielten zwar die Fortschritte der Literatur auf, weckten aber die schlafenden Kräfte Rußlands, brachten auch die mittleren u. niederen Klassen auf ihren Zügen durch Deutschland auf eine höhere Stufe der Bildung, u. mit dem Frieden begannen die Bestrebungen für vaterländische Literatur aufs Neue. 1813 wurde die russische Bibelgesellschaft gestiftet, 1816 die russische Akademie neu organisirt. Auch bewirkten die verschiedenen Reisen, welche im wissenschaftlichen u. praktischen Interesse unter Alexander I. u. seinen Nachfolgern unternommen wurden, eine wesentliche Bereicherung der Kenntnisse. Seit der Thronbesteigung des Kaisers Nikolaus war die Regierung unaufhörlich bemüht, gegenüber den fremdländischen Elementen in der R. L. u. bes. Sprache, den Sinn des Volkes auf das Nationale hinzulenken u. der Russischen Sprache einen größeren Spielraum zu gewinnen. Daß diese Bemühungen um nationale Selbständigkeit nicht ohne Erfolg blieben, bewies einerseits die Abnahme der Zahl der Übersetzungen fremder Werke, andererseits die geringere Anzahl von Werken, auch wissenschaftlichen, welche innerhalb des Russischen Reiches in fremden Sprachen Erschienen, u. es sind vorzugsweise nur die auch im übrigen Europa Verbreitung findenden geographischen, naturhistorischen u. sprachwissenschaftlichen Arbeiten, für welche noch die deutsche, lateinische u. französische Sprache angewendet wird, sowie die von der Petersburger Akademie herausgegebenen Schriften fast ohne Ausnahme in deutscher u. französischer Sprache abgefaßt sind. Dennoch ist auch jetzt noch die Einfuhr von ausländischen, bes. deutschen u. französischen Büchern in Rußland nicht gering, da die Kenntniß dieser beiden Sprachen unter den höhern Ständen allgemein verbreitet ist. Eine Erleichterung der bes. unter Nikolaus sehr verschärften Censur trat mit Beginn der Regierung des Kaisers Alexander II. (März 1855) ein, u. während Anfangs der fünfziger Jahre die Zahl der in Rußland (ohne Finnland u. Polen) jährlich erscheinenden Werke ungefähr 1000 betrug, war derselbe im Jahre 1858 schon auf das Doppelte gestiegen (2036), es befanden sich darunter 99 dramatische Schriften (28 Originale, 66 Übersetzungen und 5 in französischer od. deutscher Sprache), 50 Operntexte (russisch, italienisch, deutsch, französisch), 75 Gedichtsammlungen (darunter Übersetzungen von Heine u. Béranger), 43 Romane u. Erzählungen russischer Schriftsteller, 24 Übersetzungen ausländischer Novellisten u. 105 Volksschriften, 75 literar-historische (außerdem die gesammelten Werke von 18 Schriftstellern), 56 kunstgeschichtliche Werke, 227 historische, 69 geographische, 115 philologische, 84 naturwissenschaftliche, 37 mathematische u. astronomische, 124 medicinische, 273 theologische, 150 pädagogische etc.; nur die theoretische Philosophie hat in Rußland noch keinen Boden gefunden. Auch die Zahl der Zeitungen hat sich in Folge der mildern Maßregeln gegen die Presse bedeutend erhöht, indem im Jahre 1858 im Russischen Reiche mit Ausnahme der amtlichen Gouvernementszeitungen 109 Zeitungen u. 95 Journale u. periodische Schriften erschienen, dagegen im Jahre 1860 deren Zahl schon 310 betrug, wovon allein 142 in Petersburg herauskommen. In Petersburg ist auch in neuster Zeit ein Verein zur Unterstützung bedürftiger russischer Literaten gegründet worden.

Obgleich in dieser Periode die R. L. wesentliche Fortschritte machte, so sind doch diese weit weniger bedingt von einem innern Leben, von einem eigenthümlichen individuellen Bewußtsein, als vielmehr von dem fortdauernden Einfluß anderer europäischer Literaturen, namentlich von französischen u. deutschen Elementen, so daß jede Phase des intellectuellen Lebens, durch welche Europa seit Anfang des 19. Jahrh. gegangen ist, stets auch ihren Reflex in Rußland fand. Der Zwiespalt zwischen dem ursprünglich Nationalen u. dem Fremdländischen ist trotz der Bestrebungen der neuern Zeit noch nicht überwunden. Die schon zu Ende des 18. Jahrh. bes. durch Bogdanowitsch, Chemnicer, van Wizin begonnene Bildung der russischen Prosa u. leichten Poesie war nur ein schwacher, unsicherer Anfang gewesen. Da erschien Nikolaus Michailowitsch Karamsin (1765–1826), welcher einen ungeheuern Einfluß auf die R. L. ausgeübt hat; denn er führte dieselbe in die Sphäre neuer Ideen ein, u. die Umgestaltung der Sprache war eine nothwendige Folge hiervon; er befreite dieselbe von den lateinischen u. deutschen Perioden u. der schwerfälligen Kirchensprache, näherte sie dagegen durch[481] Anwendung französischer u. englischer Constructionen der lebendigen, natürlichen Umgangssprache. Während Lomonossows Periode die der schwerfälligen u. hochtrabenden Richtung, der gelehrten Belesenheit war, verstand es Karamsin durch seine leichte u. angenehme Sprache dem russischen Publicum Lust zum Lesen russischer Bücher zu machen. Er brachte auch das Element der Sentimentalität in die R. L. In seinen Erzählungen (Die arme Lise; Natalia, die Bojarentochter; Die Insel Bornholm; Der Ritter unserer Zeit) zeichnet er das Leben des Herzens u. die Leidenschaften im Kreise des gewöhnlichen täglichen Lebens; durch seine Übersetzungen von Marmontels Erzählungen u. einiger der Genlis, sowie durch seine Briefe eines russischen Reisenden, machte er die Russen mit der Denk- u. Handlungsweise der gebildeten Gesellschaft der Welt bekannt, u. seine Geschichte des Russischen Reichs (Petersb. 1816 ff., 11 Bde.) ist der Grundstein zu dem Gebäude des historischen Studiums in Rußland geworden. Seit 1802 gab er auch den Boten Europas heraus. Wenn aber auch durch ihn die Russische Sprache an Geschmeidigkeit, Eleganz u. Vielseitigkeit ungemein gewann, so war sie doch vorzüglich durch die Schuld seiner unmäßigen Nachtreter in großer Gefahr ihre Nationalität gänzlich einzubüßen. Diesem Unwesen zu steuern u. der Russischen Sprache ihre Nationalelemente zu sichern trat der Minister der Volksaufklärung Alexander Schischkow (1754–1828) 1802 in der Schrift Über den alten u. neuen Styl der Russischen Sprache mit einem nicht unbedeutenden Anhange auf. Aus diesem Kampfe bildeten sich zwei Parteien bei den Russen, die Moskausche, welche Karamsin folgte u. seit 1803 bes. von Makarow vertreten wurde, u. die Petersburger, welche die Zurückbildung der Russischen Sprache, aber immer auf dem Grunde der von außen her erworbenen Vollkommenheiten zu befördern trachtete. In der Folge traten beide Parteien einander näher, u. der durch Karamsin gebildete u. von seinen Fehlern mehrfach befreite neue Styl wurde das herrschende Vorbild in der Russischen Sprache. Zu derselben Zeit, als Karamsin die russische Prosa umbildete, erfuhr die Dichtersprache eine gleiche Umbildung durch Iwan Iwanowitsch Dmitrijew (geb. 1760), welcher derselben die Leichtigkeit u. Bestimmtheit der Französischen Sprache anzueignen wußte. Auch trat durch ihn die russische Dichtung einen großen Schritt näher zu der Einfachheit u. Natürlichkeit, dem Leben u. der Wirklichkeit, seine Lieder sind zwar allzu sentimental, aber seine Oden originell u. gemäßigt rhetorisch, seine Fabeln u. Sagen wahrhaft poetische Erzeugnisse für jene Zeit. Krylow machte zuerst die Fabeln in Rußland volksthümlich. Dem seit Lomonossow u. Derschawin bis zum 19. Jahrh. herrschenden Versmaß (Jamben u. Trochäen) gegenüber brachte Alexander Christophorowitsch Wostokow (geb. 1781) das russische Metrum wieder zur Geltung; dieses ist tonisch, d.h. die Zahl der poetischen (nicht grammatikalischen) Accentuationen beachtend u. ohne Endreime, Verse mit einer u. zwei Betonungen gehören dem Liede, die mit drei dem Epos. Nikol. Gnäditsch (geb. 1784) führte zuerst den Hexameter bei den Russen ein, indem er 1813 die Ilias in dem Versmaße des. Originals übersetzte; diesen Bemühungen folgte auch Basil. Andrejewitsch Schukowski (1783–1852), welcher, der Schule Karamsins angehörend, die Romantik in die R. L. gebracht u. die Ballade eingeführt hat; er schrieb auch poetische Episteln u. hat sich als prosaischer Schriftsteller u. Übersetzer in Prosa ausgezeichnet. Nicht so groß als Schukowski's Einfluß, aber doch auch sehr bedeutend war der Konstantin Nikolajewitsch Batjuschkows (geb. 1787), eines ebenfalls gefeierten Dichters, bei dem zuerst unter den russischen Dichtern das Kunstelement als herrschend auftritt, er gab der Poesie die Reinheit der idealen Form; obgleich er ein Nacheiferer der alten Klassiker war, hat er doch nur Weniges aus dem Griechischen u. Lateinischen übersetzt; ausgezeichnet ist seine Elegie auf den Trümmern eines Schlosses in Schweden. Als Prosaiker ist er ein sehr vortrefflicher Stylist. Zu den vorzüglichen Schriftstellern der Karamsinschen Periode gehört auch Alexei Fedorowitsch Merzljakow (geb. 1778), welcher als Dichter (Oden), Übersetzer (Metrische Übersetzungen u.a. von Tasso's Befreitem Jerusalem), Liedersammler (russische Lieder), Literarhistoriker u. Kritiker bekannt ist, u. Alex. Stergegowitsch Puschkin (1799–1837), Schüler u. Nachahmer Derschwins, Schukowskis u. Batjuschkows, der zuerst als Dichter 1815 mit seinen Lyceumsgedichten auftrat; im Jahre 1820 begannen in dem Sohn des Vaterlandes die Kämpfe zwischen dem Klassicismus u. Romantismus, wodurch ein völliger Umschwung in den literarischen Begriffen u. Anschauungsweisen in Rußland eintrat.

Puschkin trat gerade zu der Zeit auf, als die Erscheinung wahrer Poesie in Rußland eine Möglichkeit geworden war, nach der großen Epoche von 1812 u. ihren Folgen; er wurde durch die Idealisirung des alten Rußlands u. durch die Dramatisirung der russischen Volksüberlieferung der Schöpfer einer neuen, nationaleren Literaturepoche; er nahm Geistesproducte aller vorhergehenden Dichter in sich auf, um sie dann der Welt in einer neuen, umgestalteten Form wiederzugeben. Seine Werke (1838, 8 Bde.) enthalten scharfe, kühne u. feurige Gedanken, eine klare u. streng geregelte Sprache u. sind in wohllautenden Versen geschrieben. Hatten auch die Auswüchse seiner Phantasie, namentlich seiner Anhänger Baratinsky (st. 1844), Dahl, Delwig, Jasykow (st. 1847), Eduard Huber (st. 1847), Koslow (st. 1840), Benediktow, Podolinski etc., die Harmonie zwischen der literarischen u. politischen Bewegung bald wieder gelöst, so wurden doch durch Nikol. Wassiljewitsch Gogol (1808–1852) die gesammten literarischen Kräfte abermals auf das Ziel hingelenkt. Gogol u. seine Schule machten es sich zur Aufgabe, alle diejenigen unabhängigen u. originalen Elemente der Heimath zu sammeln u. zu beleuchten, welche die frühere Nachahmung des Auslandes u. dessen Literaturen hatte bestehen lassen. Daher kommt es auch, daß seitdem der Sittenroman u. das Lustspiel in den Vordergrund getreten ist. Zu den Hauptorganen seiner Richtung gehörten die Vaterlandsannaten, seit 1839 von Kräwky redigirt, u. die Gegenwart, 1847 von Billinsky gegründet. Ein gelehrter u. geistreicher Gegner der alten Schule ist auch Sentowsky in Petersburg. In Gogols Sinne schreiben auch Nikitenko u. Pleiniew, u. zu den vorzüglichsten Vertretern seiner Schule gehören Graf Sollohus, Gantscharow, Butkow u. Turgeniew. Einer der ausgezeichnetsten russischen Dichter der Neuzeit war Michael Jurjewitsch Lermontow (s.d. 1811–41). Seit 1855 ist in der R. L. die Begeisterung für politisch-sociale Fragen[482] vorherrschend, während sich in Bezug auf alle rein literarischen u. gelehrten Gegenstände die entschiedenste Gleichgültigkeit zu erkennen gibt. Diese Richtung war schon einige Jahre vor Alexander II. vorbereitet; im Anfang der fünfziger Jahre äußerte sie sich nur negativ, indem die meisten Schriftsteller ein hartnäckiges Schweigen beobachteten, unter der Regierung Alexanders II. erwachte ein neuer Eifer in der Literatur, welcher sich auf die socialen Fragen richtete. Ihren Gipfel aber erreichte diese praktische Tendenz, als die Regierung die Verbesserung der bäuerlichen Verhältnisse anbahnte. Obgleich aus diesem Grunde die Poesie jetzt nur noch die zweite Stelle einnimmt, so entringt sich doch die R. L. rasch ihren embryonenhaften Anfängen. Seit Puschkins u. Lermontows frühem Tode bis jetzt hat in Rußland ein beharrlicher Kampf, eine reiche, bald mit Gewalt zurückgedrängte, bald geduldete, bald selbst ermuthigte u. immer mit gleicher Kraft zum Durchbruch drängende Entwickelung stattgefunden.

In den einzelnen Zweigen der Literatur sind in dieser Periode folgende Schriftsteller zu nennen (ihre Werke s.u. den einzelnen Artikeln): Puschkin schrieb das Nationalepos Ruslan u. Ljudmila, Baron Rosen das epische Gedicht Die Geburt Johannes des Gewaltigen. In der lyrischen Prosa zeichneten sich aus: Karamsin, Dmitrijew, Kapnist, Mersljakow, Schukowski (Swetlana, eins seiner trefflichsten Erzeugnisse, u. die Nationalhymne Gott beschütze den Kaiser), Batjuschkew, Alex. u. Basil. Puschkin, Wostokow, Delwig, Glinka, Poletschajew, Panin, Pankrati, Dawidow, Schatrow, Dolgoruki, Wojejkow, Baratynski, Jasykow, Lermontow, Apollon Maïkow, Eduard Huber (welcher auch Goethes Faust übersetzte), Turgenew, S. Podolinski, Fürst Wäsemski (der aber nur Gelegenheitsgedichte im Salon- u. Weltton schrieb), Metschersky (welcher in Französischer Sprache dichtete), Tepliakow, Feth, Alexis Timofejew, Lucian Jakubowitsch, N. Nekrasow, A. Jemtschujnikow, Rosenheim u. A. Unter den Dichterinnen sind Anna Bunina, Gräfin Rostoptschina, die Frauen Pawlow u. Panajew zu nennen. Episteln schrieben Dmitrijew, Batjuschkow, Dolgoruki, Wäsemski u. A. In der poetischen Erzählung leisteten Dmitrijew, Schukowski, Batjuschkow, Puschkin (der Gefangene im Kaukasus), Baron Rosen, Radiwonowski, W. Baschurin, Baratynski (Eda, Zigeunerin), Koslow (Natalie Dolgoruki, Der Mönch), Bernet, S. Podolinski, Grigorjew (die Stadt, Olimpii Radin) vorzügliches. Als Dichter von Idyllen sind Mersljakow, Panjew, Gnäditsch, als solche von Elegien Schukowski, Batjuschkow, Baratynski, Milonow, Huber u. Dawidow hervorzuheben. Im beschreibenden Gedicht behauptet außer Grebenko noch Suhanow aus Nowgorod (st. 1843) eine vorzügliche Stelle: als Übersetzer in diesem Genre haben sich Alex. Wojejkow u. Burinski ausgezeichnet. Im Lehrgedicht ist seit Wojejkow (Wissenschaft u. Künste) u. Sokonuski (die Schöpfung) kein bedeutender Name aufgetreten. Miattlew (st. 1844) hat sich im burlesken Epos versucht. Als Satyriker ist vor Allen Schachowski (Die gesäuberten Pelze), nächst diesem Dmitrijew, Milonow, Wäsemski, Wojejkow u. Butkow bekannt. Glückliche Epigrammatisten sind Wäsemski, Batjuschkow, Dmitrijew u. Dawidow. Unter den Fabeldichtern steht Krylow (s.d.) obenan; außer ihm schrieben Fabeln Alex. Jefimowitsch Ismailow, der bes. Charaktere, Gewohnheiten u. Lasser des niedern Standes darstellte, u. Aliganow, ein früherer Leibeigner zu Kaluga. Die Ballade führte Schukowski in die R. L. ein, er übersetzte nicht allein deutsche von Schiller u. englische von Byron, sondern dichtete auch eigne (wie Ludmila, Schloß Schmalhoim, Die Buße, Undine etc.); auch Murawjew dichtete Balladen. Unter den russischen Naturdichtern nimmt den ersten Rang Alex. Wassiljewitsch Kolzow (st. 1842) ein, welcher zuerst das russische Volkslied künstlerisch auffaßte u. wirksam verarbeitete; außer ihm sind die idyllischen Productionen des Bauers Stäpuschin zu nennen. Den Roman im höhern Sinne des Wortes kennt bis jetzt die R. L. noch nicht u. die vorhandenen Erzählungen können nur Novellen genannt werden. Hier sind aufzuführen: Karamsin (Die arme Lise, Die Insel Bornholm u. Marwa Posadniza od. die Bezwingung Nowgorods), Schukowski, Benizki, Glinka, P. Atreschkow, Kalaschnikow (Die Tochter eines Kaufmanns), P. Swinjin (Schemnakins Gericht, ein historischer Roman), Iwan Koslow (Die Wahnsinnige), Const. Massalski (Die Schützen, Der schwarze Kasten), Al. Orlow (Die lebendigen Todten, Flucht des Iwan Wuishigin, ein satyrischer Roman), Al. Schischkow der Jüngere (Grusien im J. 1812), Iwan Kulschinski (Fritzchen Motowilski), A. Weltmann (Der unsterbliche Kaschtschei), W. Karlhof, M. Markow (Die Insurgenten), Charmadabanow (Durchbruch auf dem Kaukasus, ein satyrischer Roman). Einer der ausgezeichnetsten Erzähler war Alex. Bestuschew, welcher unter dem Namen Martinski schrieb (Ammaleth-Beg, Mullah-Nur, Skizzen aus dem Kaukasus); Thaddäus Bulgarin versuchte zuerst in seinen Romanen, so wenig sie auch den Ansprüchen der Ästhetik genügten, volle Schilderungen aus dem Leben (Iwan Wuishigin od. der russische Gil-Blas, Peter Iwanowitsch Wuishigin, Rostawiew, Demetrius, Mazeppa); in Walter Scotts Manier schilderte M. N. Sagoskin (st. 1852) das russische Volksleben in seinem Jurji Miloslawski; weniger bedeutend sind dessen spätere Werke, wie Kusma Miroschew, Die Ruthenen am Anfang des 18. Jahrh., Moskau u. die Moskowiter etc., Anziehende Sittenschilderungen enthält Wasili Uschakows Kirgis-Kaisak, neben welchen Schtschukins Wasserfälle der Angara (1837) eine ehrenvolle Stellung einnehmen. Zu den talentvollsten u. geistreichsten Erzählern Rußlands in der Gegenwart zählt Graf W. A. Sollohub, unter dessen Werken namentlich: Zum Einschlafen (1841) als Skizzen aus dem Alltagsleben, u. Tarantas (1845) als satyrisch-humoristische Genrebilder aus dem russischen Nationalleben, sowie der Roman Wtscherà i sewodnja (Gestern u. heute, 1845) zu nennen sind. Neben diesen sind als gute Erzähler noch zu erwähnen: Nikol. Philippowitsch Pawlow aus Moskau (Der Maskenball, Der Namenstag, Eine Million, Der Yatagan), Fürst Odojewski, Baron Theodor Korf, Constantin Massalski, Senkowski, welcher unter dem pseudonym Baron Brambäus als humoristischer Schriftsteller Glück gemacht hat, Nikolai Bestuschew (st. 1855, Erzählungen u. Novellen eines alten Seemanns, Mosk. 1860), der originelle Wladimir Dahl, der unter dem Namen Kosak Lugaski schreibt, Alex. Herzen (s.d., Wer ist Schuld etc.). In den Künstlernovelle versuchte sich zuerst Nestor Kukolnik[483] (Beresowski, Eveline de Vallerole, 1841–1842; Tri perioda, 3 Bde., 1845 etc.); Iwan Turgenew (Erzählungen aus dem Leben eines Jagdliebhabers, 1849; Das adelige Nest, Mosk. 1860). Andere minder bedeutende Romanschriftsteller sind: Peter Romanowitsch Fuhrmann, Michael (Trofimowitsch Katschenowskoj st. 1842); Rafael Zotow, ein Nachahmer Walter Scotts (Leonidas); Perowsky, pseudon. Pogorelski, Lajetschnikow, Butkow (Petersburgskia Werschiny, 1845), Chamor Dabanow, ein Pseudonymus (Prodjelki na Kawkase, satyrischer Roman, 1844); Kowalewski (Petersburg bei Tag u. Nacht, 1845); Wlad. Woit, Sementowski (Mazeppa i Kotschubei, 1845, historischer Roman); Polewoj (Glück ist besser als Heldenmuth, 1844, Roman in der Art von Eugen Sues Geheimnissen); Kamenski (Vieles im Russischen Boten); Gontscharow (Joh. Podschabryn; Eine gewöhnliche Geschichte; Traum des Oblomow, 1849 etc.); Ruitsch, Druschinim (Julie, 1849); Grygorowitsch (Schicksale Nakalows 1849); Awdjejew (Warynka); Pissemskji (Die Matraze, 1850); Tolbin (Ljubinka, 1851, ein Sittenroman); Rabinowitsch zu Odessa (Moritz Sefardi, 1851) etc. An die Reihe dieser Romanschriftsteller u. Novellisten schließt sich eine Gruppe von Erzählungen, die mit Frische u. Natürlichkeit in anmuthigen idyllenartigen Darstellungen das Kosackenleben schildern u. dazu meist des kleinrussischen Dialektes sich bedienen, als Repräsentanten dieser Richtung gelten G. J. Kwitka, pseudonym Osnowianenko (st. 1843 Pan Chalavskij), Grebenko, bes. aber Nikolai Wassiljewitsch Gogol, von dessen Werken (deutsch, Russische Novellen, 2 Bde., Lpz. 1846; Russisches Leben u. Dichten, Lpz. 1851) gehören namentlich Die Abende auf dem Meierhof unweit Ditanka; Taraß Bulda (deutsch von Bode, Lpz. 1846), Mirgorod, hierher; während Die todten Seelen (Moskau 1842) als satyrischkomisches Zeitgemälde wegen der Wahrheit der Auffassung u. Meisterschaft in der Darstellung nach einer andern Seite hin eine ausgezeichnete Stellung in der R. L. einnehmen. Dasselbe gilt auch in diesem Genre der Romandichtung von den Arbeiten Fedor Dostojewskis (Die armen Leute; Doppelgänger) etc. Unter den Frauen, welche in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Novellistik Ansehen genommen, sind vor Allen außer der bereits 1842 verstorbenen Helena Andrejewna Hahn, geb. Fadejewa, pseudonym Sennida R-wa (Dschelaleddin; Utballa; deutsch in Wolfsohn's Rußlands Novellendichter, 1. Bd.) zu nennen Frau Pawlow, durch Leben u. männliche Kraft ausgezeichnet; die anonyme, sehr verschieden beurtheilte Verfasserin von Lydia u. der Marquise Luigi; Eugenia Tur (Der Irrthum); Helene Weltmann (schr. z.B. die historischen Romane Nowy Jemelja, 4 Bde., 1845; Prinz Gustav von Schweden, 1850 etc.): Madame Schischkin (Prokop Ljapunow, 1845); Maria Corsini (Skizzen des alltäglichen Lebens, 1851); Madame Jukowa, die im Genre der Henriette Hanke schrieb, etc. Im Märchen haben sich namentlich Grebenko, der Verfasser einer Reihe schöner Erzählungen, Märchen u. kleiner Romane, so wie Wasil Wanenko (Russische Nationalsagen, 1846, Novellen nach Art der von Brentano) ausgezeichnet.

Hatte die lyrisch-epische Poesie in Puschkin, der Roman in Gogol seinen Meister gefunden, so entbehrte die R. L. noch eines solchen auf dem Gebiete des Drama. In der Reihe der Dramatiker nach Sumarakow dichtete Kniaschnin mit rühmlichem Erfolg, doch ohne selbständiges Talent, aber vielseitig gebildet beutete er mit Glück u. Geschick die reiche französische dramatische Literatur aus u. ließ Sumarakow hinsichtlich des Geschmacks u. der Sprache weit hinter sich. Aber er selbst wurde noch weit überflügelt durch Oserows (s. oben) entschiedenes Talent. Zu gleicher Zeit mit diesem trat Kojukowski (geb. 1781) auf, dessen Tragödie Posarski außerordentlichen Beifall fand; Iljen, Nenachowitsch u. Iwanow schrieben prosaische Dramen. Unter den Dichtern, welche sich seit Puschkin (Boris Gudonow, 1831) im Trauerspiel versuchten, dürften hervorzuheben sein Kowalewski (Die Rathsherrnfrau Marsche, 1833), Fürst Schachowski (Deborah), Nik. Gnäditsch (Lear nach Shakspeare, Tancred nach Voltaire), Nestor Kukolnik (Torquato Tasso, eine dramatische Phantasie, 1833; Leisewitz, ein Dichterdrama; Fedor Baljenok, 1844, national-historisches Drama; Die Hand des Höchsten hat das Vaterland gerettet etc.), u. Nik. Alexiewitsch Polewoi (st. 1846), welcher eine große Anzahl Trauer- u. Schauspiele (darunter Helene Glinskaja) lieferte. Als gediegener Übersetzer Shakspeares ist Ketscher (Petersb 1846 f.) hervorzuheben. Bedeutenderes hat die dramatische Literatur der Russen im Lustspiel aufzuweisen. Fürst Schachowski hat über 100 Stücke geschrieben, von denen sich mehre auf dem Repertoir erhalten haben. Viel Beifall erntete Krylow mit seinen geistreichen u. witzigen Lustspielen (Die Mädchenschule, Der Modeladen); Epoche machend sind in der neuesten Zeit gewesen Gribojedow, welcher bes. in: Die Leiden des Gebildeten, u. Gogol, welcher im Revisor treffliche Schilderungen der Sitten u. der Kehrseiten der russischen Gesellschaft lieferte. Sonst ernteten noch verdienten Beifall Ostrowski (Was unsere Leute sind, werden wir nachher erwägen, eine Sittenschilderung aus dem Moskauer Kaufmannsleben), Turgenew (Ein Frühstück beim Adelsmarschall; Das Fräulein aus der Provinz), Graf Sollohub (Die Bouquets), Sagoskin (Das Liebhabertheater; Die Unzufriedenen). Die beste russische Oper ist Ilja Muromez von Krylow. Im Vaudeville sind Krylow (Der Müller), Fedorow, Koni, Lonski, Fürst Schachowski u. bes. Karatygin (st. 1853), der bedeutendste russische Schauspieler der neueren Zeit (Die Bäckerstube od. der Petersburger Deutsche), zu nennen; außerdem Peter Grigorjew, ebenfalls Schauspieler (Noch Kaufleute der dritten Gilde). Am meisten auf den Bühnen der Hauptstädte zur Aufführung gelangt sind Übersetzungen französischer, zum Theil auch deutscher Stücke. Als Merkwürdigkeit ist der tatarische Lustspieldichter Feth-Mi-Achundow zu Tiflis zu erwähnen. In letzter Stadt wurden durch Fürst Woronzow zwei Schaubühnen, eine russische u. eine grusinische, ins Leben gerufen.

Auf einer verhältnißmäßig noch sehr niedrigen Stufe der Ausbildung steht in Rußland die Prosa, die Sprache der Wissenschaft. Die Beredtsamkeit ist in Rußland, seiner politischen Constitution nach, nur Kanzelberedtsamkeit. In ihr sind zu erwähnen Philaret, Erzbischof von Moskau (geb. 1782), Michael Deßnizky, Metropolit von Nowgorod (1752–1821). Als der ausgezeichnetste Kanzelredner gilt Innokenti. Die Schriften Andrei Murawiews (s.d.) haben durch glänzenden Styl u. einen eigenthümlich schwärmerischen religiös-poetischen Ton in Rußland die allseitigste Anerkennung[484] gefunden. Auch seine Arbeiten von strengem theologischem Inhalt nehmen eine vorzügliche Stelle in der R. L. ein. Ein selbständiges philosophisches Werk ist in Rußland noch nicht erschienen; die Wenigen, welche sich mit dem Studium der Philosophie beschäftigen, wie Golubinski, Wellanski, Sidonski, Kedrow etc. haben sich in der Hauptsache an die neueren deutschen Philosophen angeschlossen. Unstreitig die Lichtseite der R-n L. bietet die Geschichte, deren Studium bes. seit Schlözers Bemühungen mit Kritik betrieben wurde, doch wird fast nur die ältere u. mittlere Geschichte, namentlich Rußlands, weniger der übrigen Völker u. Staaten des Abendlandes, fast gar nicht od. wenigstens nur einseitig u. parteiisch die der neuesten Zeit bearbeitet. Die Geschichte Rußlands anlangend, so steht Karamsin mit seinem Hauptwerk (Geschichte des Russischen Reichs) obenan. Große Verdienste um die russische Geschichte erwarb sich der Graf M. P. Rumänzow (st. 1826), indem auf seine Veranstaltung u. Kosten viele russische Geschichtswerke herausgegeben wurden, so die Sammlung der russischen Reichsurkunden von Malinowsky, Kalaidowitsch u. Strojew. Unter den Bearbeitungen der Geschichte Rußlands sind zu nennen die von Ustrialow (deutsch, Stuttg 1840, 3 Bde.), in allen Schulen Rußlands eingeführt, u. von Polewoi (Peierab. 1829–38, 8 Bde.), Solowjew (Geschichte Rußlands seit den ältesten Zeiten, Mosk. 1851 ff., 9 Bde.). Unter den Bemühungen Einzelner für Bekanntmachung u. Bearbeitung der Quellenschriften sind namentlich Alex. Turgenews (st. 1845) Monumenta historiae patriae (Petersb. 1840–46, 3 Bde.), gesammelt aus den Bibliotheken u. Archiven Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Englands u. Dänemarks, von Bedeutung. Eine kritisch-literarische Übersicht der Reisen in Rußland bis 1700 gab Adelung (Petersb. 1846, 2 Bde.), eine Sammlung der Scriptores exteri saeculi XVI. historiae Ruthenicae (Berl. u. Petersb. 1841–43, 2 Bde.) Starczewski heraus. Eine außerordentliche Thätigkeit entwickelte die Archäographische Commission in Petersburg, welche in der neuesten Zeit nicht nur eine große Anzahl älterer Chroniken u. Sprachdenkmäler bearbeitet u. herausgegeben, sondern auch die auf die Geschichte Westrußlands bezüglichen Acten u. Documente (Petersb. 1847 f., 1.–4. Bd.) zu sammeln begonnen hat. Namentlich sind bei derselben Wostokow, Strojew, Tschertkow u. Snegirew thätig. Schätzbare Monographien veröffentlichen auch die Historisch-antiquarische Gesellschaft in Odessa, die Archäographische Commission in Kiew, die Historische Gesellschaft in Moskau in ihren Schriften. Forschungen über einzelne Perioden u. Persönlichkeiten bes. der älteren Geschichte behandelten P. Sumarakow (Geschichte der Zeit Katharinas der Großen, 1832, 2 Bde.), Kaidanow (Verhandlungen des russischen Hofes seit der Thronbesteigung der Romanow, Petersb. 1833, 2 Bde.), Szreznewski (Die Vorzeit der Zaporoger, 1838), Alex. Puschkin (Geschichte des Aufstandes des Pugatschew, Petersb. 1834, 2 Thle.), Berg (Regierungsgeschichte des Czaren Alex. Michailowitsch, 1833, des Czaren Fedor Alexiewitsch, 1835), Lefort (Geschichte der Kaiserin Katharina, 1838, 5 Bde.), Arßenjew (Die Regierung Peters II., 1839), Krug (Forschungen in der älteren Geschichte Rußlands, Petersb. 1848, 2 Bde.), Pogodin (Historische Untersuchungen, 1851, 4 Bde.), Szreznewski (Forschungen über die heidnische Religion der früheren Slawen, 1848), Slowzow, Solowjew (Analyse des Verhältnisses zwischen der Republik Nowgorod u. den Großfürsten, 1849; Familiengeschichte der Fürsten des Hauses Rurik, 1850 etc.), Pawlow (Über Boris Gudonow, 1851), Schulgin (Über den Zustand der Frauen im alten Rußland, 1850), Newerow, Kunik, Kurt v. Schlözer, Sjögren, Murzakewitsch (Geschichte der Genueser in Neurußland), Kostomarow (Geschichte des Aufstandes der Kosacken unter Bogdan Chmelnizky gegen Polen; Die Empörung Stenka Rasins), Ustrialow (Leben Peters des Großen, Petersb. 1858 ff., 6 Bde.), Schtschebalsky (Geschichte der Zarewna Sophia), Capitän Gendre (Tagebücher u. Briefe des Admirals Kornilow, welcher bei Sebastopol fiel), Melnizky (Biographie des Admirals Ricord), Tscherbinin (Biographiedes Feldmarschalls Woronzow), Polewoi (Biographie Suworows, deutsch Mitau 1851), Bronewski (Biographien der ausgezeichnetsten russischen Admirale, Petersb. 1834, 3 Bde.), Polewoi (Lebensbeschreibungen der berühmtesten russischen Generale), Seddelers Militärencyklopädie (1842 f.) etc. Unter den Schriftstellern über russische Kriegsgeschichte sind zu erwähnen Fedor Nikolajewitsch Glinka, Alex. Pissarew; General Michaelowsky Danilewsky, starb 1848 (Geschichte des Feldzugs 1805, 1844); Beschreibung des türkischen Feldzugs unter der Regierung des Kaisers Alexander, Petersb. 1843, 4 Bde.; u. Dmitri Petrowitsch Buturlin (s.d. 3); geschätzt sind auch die Werke von Lukjanowitsch über die türkischen Feldzüge von 1828 u. 1829, Bogdanowitsch (Beschreibung des Feldzugs von 1812), Miljutin (Geschichte des Kriegs in Italien u. der Schweiz unter Suworow 1799). Viele Gelehrte, namentlich in Odessa, widmeten sich der Geschichte des südlichen Rußlands im Alterthum, anknüpfend an die zahlreich daselbst aufgefundenen u. ausgegrabenen Denkmäler, bes. geschätzt sind die Arbeiten von Ashik, Director des Museums der Alterthümer in Kertsch (Bosporanisches Königreich, 1848) u. Sabatier (Souvenirs de Kertsch et Chronologie du Royaume de Bosphore, Petersb. 1849); sonst sind noch zu nennen Arkas, Seinezki, Alex. Troinitzki Paleolog, Becker etc. Prachtwerke über diesen Gegenstand veröffentlichten Alexis Uwarow (Petersb. 1852) u. Fürst Demidow (Voyage dans la Russie meridionale, deutsch Lpz. 1854); ein höchst bedeutendes Werk ist auch Mich. Grabowskis Die frühere u. jetzige Ukraine (1850). Unter den wenigen über die neuere russische Geschichte sind einige gute Schriften über die Kaukasuskämpfe zu erwähnen, wie Miljutins Beschreibung des Sturmes von Achulgo im J. 1839, 1850, u. Kostenezkjis Expedition gegen die Awaren, 1851. Eine Übersicht der russischen Historiographie gab Startschewsky (1845). Eine werthvolle Arbeit auf dem Gebiet der Kirchengeschichte ist des Bischofs Philaret in Riga Geschichte des Patriarchats in der Russisch-griechischen Kirche (1847); sehr verbreitet sind die kirchenhistorischen Arbeiten Andrei Murawiews (Geschichte von Jerusalem, 1844, 2 Bde.; Biblische Geschichte, 1842; Geschichte der ersten Jahrhunderte des Christenthums, 1842; Geschichte der Russischen Kirche, 3. A. 1845; Pascha w' Kiewe, 1846; Swjatya Georg i Optina Pustyn, 1852) etc. Auch über die Specialgeschichte einzelner Gebietstheile Rußlands erschienen mehre gute Arbeiten,[485] so von Ewgenius, Erzbischof von Pskow (Historische Darstellung von Grusien, Petersb. 1802), von dem Metropoliten Sestrenzewitsch-Bogusch (Geschichte von Taurien, Petersb. 1806, 2 Bde.), von D. Bantusch-Kamenski (Geschichte Kleinrußlands, Mosk. 1830, 3 Bde.), von Slowzow (Geschichte Sibiriens, 1836), von Semailow (Geschichte von Kiew, 1834), von Kruse über Kurland, von Brosset über Georgien, von Pawlischtschew über Geschichte Polens, 1845. Über die Geschichte anderer Länder schrieben u.a. Uwarow (Stein u. Pozzo di Borgo, Petersb. 1846), Fürst Wolkonskji (Über die Zustände Roms u. Italiens im Mittelalter u. in neuerer Zeit, 1845); Medowikow (Geschichte der abendländischen Kaiser in Byzanz, 1851), Kudräwzow (Schicksale Italiens vom Verfall des Römischen Reichs bis auf Karl den Großen, 1850) etc. Für Universalgeschichte sind Lorenz u. Smaragdow in Petersburg thätig. Eine Geschichte der letzten hundert Jahre schrieb Polewoi (1845). Von großem Interesse sind die Memoiren (Sapiski) über die Jahre 1813–15, z.B. von Alex. Schischkow (Krakija sapiski, Petersb. 1831); vom General Michaelowsky-Danilewsky (Denkwürdigkeiten über den Feldzug von 1813, 1834, deutsch von Goldhammer, Lpz. 1837; Beschreibung des Feldzugs in Frankreich im J. 1814, 1836, 2 Bde.; Denkwürdigkeiten über den Krieg aus den Jahren 1814 u. 1815, 1835, 2 Bde., deutsch von Goldhammer, Lpz. 1838), Fräulein v. Durow (Die Feldzüge 1812–1814, welche sie selbst mitgemacht), W. Iwarow; Memoiren des Majors Stscheglowski, 1844; die Memoiren Bulgarins (1845) u. das Tagebuch des Gen. Petrik Gordon (herausgeg. von Fürst Obolenski u. Posselt, Mosk. 1849 f., 2 Bde.), sowie in der neuesten Zeit die Memoiren der Kaiserin Katharina II. von Alex. Herzen, Lond. 1859. Jasykow gab eine Reihe historischer Denkwürdigkeiten heraus (1845). Unter den russischen Schriftstellern, welche in neuester Zeit über Politik schreiben, sind zu erwähnen Iwan Golowin, welcher Broschüren über russische Zustände schreibt, P. v. Tschichatschew (Politische Schriften, 1858 f.), Schedo-Ferroti (Pseudonym wahrscheinlich für Baron v. Fircks, Etudes sur l'avenir de la Russie), Fürst Peter Dolgorukow (Memoiren über Rußland, La vérité sur la Russie, Par. 1860). Für Geographie, wenigstens für Sammlung von Material, wurde in dieser Periode Bedeutendes geleistet. Unter den Reisen, welche zur Erforschung des Russischen Reiches unternommen wurden, sind zu nennen die von Krusenstern (Erste Weltreise der Russen), Golownin, O. v. Kotzebue, Lasarew, Bellingshausen u. Wassiljew, Rosen; Murawiew-Apostol (Reise nach Syrien, 1832; Wanderung nach den heil. Orten im Vaterlande, 1837), Norow (Reise ins Gelobte Land, 1838), Gretsch (Reisebriefe aus England, Frankreich u. Deutschland, 1839), Bulgarin (Beschreibung einer Sommerwanderung durch Finnland u. Schweden, 1839), Dawidow (Reise durch Griechenland u. Kleinasien, 1839), Pagodin (Ein Jahr in der Fremde, 1844), Fürst Mstscherski (Reisen aus den Rheinländern u. der Schweiz, 1844), Tschukin (Reise nach Irkutsk), Tschichatschew (Ritt über die Pampas von Buenos Ayres, 1844; Asie Mineure, 1853); ferner Reisen von Wrangell im arktischen Asien, von Sagoskin im Russischen Amerika, von Middendorfs Reise in das arktische Rußand (Petersb. 1846 ff., 4 Bde.), Castréns Reise zur Erforschung der finnischen u. altaischen Völker (Nordische Reisen u. Forschungen, Petersb. 1853), Brossets Archäologische Reise nach Georgien u. Armenien etc. Von Reisen in das Ausland fanden außer den Schriften Andrei Murawiews noch Umanez Reise nach dem Sinai (Petersb. 1850, 2 Bde.), Raphalowitschs Reise durch die Europäische Türkei, Syrien etc. (1848) u. Ägypten (Petersb. 1850) gute Aufnahme im In- u. Ausland. Sonst verdienen noch Erwähnung Fürst Alexis Soltikow (Lettres sur l'Inde, Par. 1850; Briefe aus Persien, Mosk. 1851), Pater Hyacinth (st. 1852; schr. mehre Werke über China u. Hochasien); J. Beresin (Reisen in Daghestan, Kasan 1852), Leon Cienkowski (Über die Länder am oberen Nil). Ein sehr umfassendes Werk ist Stuckenbergs Hydrographie des Russischen Reiches (Petersb. 1845–50, 5 Bde.). Bes. sind hier auch die Arbeiten der Russischen Geographischen Gesellschaft zu erwähnen, welche nicht blos von Seiten des Kaisers, sondern auch von reichen Privaten Unterstützung u. Förderung genoß, u. der Beiträge zur Nautik u. Geographie in den Memoiren der russischen Admiralität. Das unter Kaiser Paul gegründete Kartendepot brachte unter Kaiser Alexander Früchte u. gab die erste Karte von Rußland in 100 Blättern heraus; in der neuesten Zeit machten sich namentlich Nadeshdin u. Köppen verdient, welcher Letztere u.a. eine ethnographische Karte des Russischen Reiches (Petersb. 1852, 4 Blatt) veröffentlichte.

Zu den ausgezeichnetsten Leistungen der R-n L. gehören die auf dem Gebiete der Sprachenkunde. Einerseits die große Anzahl von Völkern der verschiedensten Zungen u. Religionen, andererseits die Nachbarschaft u. der unmittelbare Verkehr mit den Völkern Asiens, ja selbst mit denen eines Theils des arktischen Amerika, boten die natürliche Veranlassung zur Erlernung u. Bearbeitung namentlich der morgenländischen Verkehrssprachen, sowie zur Unterstützung solcher Studien u. Bestrebungen von Seiten der Regierung. Hierzu kommt, daß es jetzt, wo fast jährlich ganze Stämme u. Völkerschaften mit ihren Sprachen vor der immer mehr vordringenden u. festere Wurzeln schlagenden europäischen Civilisation dahinschmelzen u. für immer aus der Reihe der selbständigen Nationen verschwinden, dem Freunde der Geschichte u. Ethnographie daran gelegen sein muß die noch vorhandenen Trümmer aufzusammeln u. die Sprachen, die Sitten u. den Glauben der vielen, wie es scheint noch für dieses Jahrhundert zum Untergang bestimmten Glieder in der ausgedehnten altaischen Völkerkette, der kaukasischen u. arktischen Völkergruppen, hinreichend genau kennen zu lernen. Durch Reisende, wie Sjögrén, Middendorf, Castrén u. A., ist für diesen Zweck bereits sehr viel geschehen. Einer besonderen Berücksichtigung u. Bearbeitung, zum Theil im Geiste der neuen Sprachforschung, erfreute sich unter den sogenannten Altaischen Sprachen zunächst die Sprache u. Literatur der Finnen. Nachdem schon Schröter (Finnische Runen, Ups. 1819, Stuttg. 1834) u. Topelius (Åbo 1822–26, 3 Bde.) Einzelnes aus dem noch im Munde des Volkes fortlebenden Liederschatze bekannt gemacht hatten, war es namentlich Elias Lönnrot (s.d.), welcher mit Eifer die Reste der nationalen epischen Poesie, die Volkslieder, Räthsel etc. sammelte u. herausgab. Um die grammatische Bearbeitung u. praktische Weiterbildung der Sprache machte sich außer E. Lönnrot[486] namentlich Eurén (Finsk Språklära, Helsingf. 1850), Rein, Kellgrén, Sjögrén, Schiefner u. A. verdient, s.u. Finnische Sprache u. Literatur. Hand in Hand mit diesen im nationalen Interesse gethanen Schritten geht die Bearbeitung der zunächst verwandten finnischen u. uralischen Sprachen, sowie überhaupt der Sprachen des gesammten altaischen Stammes. So wurden bearbeitet die Sprache der Syrjänen von Castrén (Helsingf. 1844) u. Wiedemann (Mitau 1850), der Wotjäken von Wiedemann (Mitau 1851), der Tscheremissen von Castrén (Helsingf. 1851). Das Esthnische zog die Gelehrte Esthnische Gesellschaft zu Dorpat in ihr Bereich u. wurde durch Fählmann grammatisch bearbeitet (s.u. Esthnische Sprache). Um das benachbarte Lettische machten sich die Lettisch-literarische Gesellschaft u. die Kurländische Gesellschaft für Literatur u. Kunst, von einzelnen Gelehrten bes. Napierski u. H. Hesselberg verdient (s.u. Lettische Sprache). Von den sibirischen Sprachen wurde das Ostjäkische von Castrén (Petersb. 1849), die türkischen Mundarten Sibiriens von Böhtlingk (Über das Jakutische, Petersb. 1851), von den arktischen Sprachen das Aleutische (Petersb. 1846), sowie die Sprachen der Koloschen u. Kadjaker von Benjaminoff (Petersb. 1846) bearbeitet. Für das Türkische, namentlich die um Kasan gesprochene Mundart desselben, geschah Vieles, namentlich durch Beresin; eine türkische Grammatik gab Kasembeg (deutsch von Zencker, Lpz. 1850). Für das Mongolische lieferten außer J. J. Schmidt noch Beresin, Kowalewski u. Bobrownikow schätzenswerthe Arbeiten; mit dem Kalmückischen haben sich J. J. Schmidt u. bes. Popow beschäftigt. Das Tatarische wurde von Trojanskij behandelt, das Mandschu von Joseph Wojciechowski (st. 1850). Das für Rußland wichtige Georgische fand an Brosset u. Tschubinow Bearbeiter; unter den übrigen kaukasischen Sprachen erhielt das Ossetische durch Sjögrén (Petersb. 1844) Grammatik u. Wörterbuch. Manche Bereicherungen erfuhr die Literatur des Armenischen. Über das Persische schrieb, außer Geitlin in Helsingfors, namentlich Dorn in Petersburg, welcher mehre persische Geschichtsschreiber herausgab u. übersetzte, sich auch mit Lesung der Münzen u. Aufschriften in der sogenannten Pehlwisprache beschäftigte u. zum ersten Male das Puschtu od. Afghanische bearbeitete. Das Studium des Arabischen wurde vor Allem durch Frähn, nächst dem durch Erdmann u. Gottwaldt gefördert. Von den Sprachen des östlichen Asiens hat namentlich noch das Chinesische, für welches bes. durch Hyacinth Bitschurin (st. 1852) viel geschah, für Rußland praktische Bedeutung, weshalb es auch an mehren Universitäten gelehrt wird; weniger das Tibetanische, welches an J. J. Schmidt, Böhtlingk u. Schiefner vorzügliche Bearbeiter fand, u. das Sanskrit, dessen Studium bes. durch Böhtlingk in Rußland vertreten wird. Das Studium der allgemeinen Sprachenkunde hatte früher an Friedrich von Adelung (st. 1843), die allgemeine vergleichende Grammatik an Chr. Fr. Gräfe (st. 1851) thätige Vertreter. Die klassischen Studien haben in Rußland fast keine Aufnahme gefunden, die wenigen in Rußland erschienenen philologischkritischen Arbeiten gehören dort lebenden od. angestellten Ausländern od. den Professoren zu Helsingfors u. Dorpat an. Ein gewisses Leben begann sich nur auf dem Gebiete der klassischen Alterthumswissenschaft zu zeigen, welche in den Propyläen ein gehaltreiches Organ erhielt u. in Leontiew in Moskau (Über die Anbetung des Zeus im alten Griechenland), Kutorga in Petersburg (Geschichte der athenischen Republik von der Ermordung Hipparchs bis zum Tod des Miltiades), Stassalewitsch (Biographie des Lykurg), Ordynskji (Volksleben der Athener), Babst (Die Staatsmänner des alten Griechenlands) tüchtige Bearbeiter fand. Doch seit dem Rücktritt des selbst klassisch gebildeten Fürsten Uwarow aus dem Ministerium des Unterrichts (1853) wurden diese humanistischen Tendenzen mit ungünstigem Auge betrachtet, u. der Unterricht im Griechischen auf den Gymnasien beschränkt. Auf dem Gebiet der Archäologie machten sich außer den bereits (s. oben) genannten Forschern über das Alterthum in Südrußland bes. Köhler u. Stephani in Petersburg verdient. Das Studium der Slawischen Sprachen u. Literaturen steht in Rußland noch lange nicht auf der wissenschaftlichen Höhe, wie in Deutschland, Bedeutendes für das alte Kirchenslawische u. die ältere Russische Sprache leistete früher K. Kalajdowitsch (Johann Eparch, Mosk. 1824) u. P. v. Köppen, in neuerer Zeit bes. Wostokow (Die Handschriften des Romanzowschen Museum, 1842 etc.). Dem Mangel einer russischen Grammatik abzuhelfen gab 1802 die russische Akademie eine solche heraus; Erwähnung verdienen auch die grammatischen u. lexikographischen Arbeiten von Wostokow, Sokolow, Born, Heym, Linde, Vater, Tappe, Puchmaier, Gretsch, Oldekop. Ein großes russisches u. kirchenslawisches Wörterbuch gab die russische Akademie (Petersb. 1847, 4 Bde.) heraus; von wissenschaftlichem Standpunkte aus behandelte seit 1851 Böhtlingk einzelne Partien der russischen Grammatik. Über Geschichte der R. L. schrieben Nik. Gretsch (Lehrbuch der R. L., Petersb. 1819 ff., 2 Thle.), Ostolopow (Lexikon der alten u. neuen Poesie, Petersb. 1821, 3 Bde.), Nikitenko (Vorstudien zu einer Geschichte der Literatur, 1845), Milakow (Geschichte der russischen Poesie, Petersb. 1847), Dudyschkin; schätzbare Beiträge lieferte auch der Metropolit Ewgenius (Lexikon geistlicher Autoren; Lexikon der russischen Schriftsteller weltlichen Standes). Das Hauptwerk über russische Bibliographie lieferte Sopikow (Essai de bibliographie Russe, Petersb. 1813 ff., 5 Thle.). In Deutschland schrieben über R. L.: Otto, Lehrbuch der R. L., Lpz. 1837; Jordan, Geschichte der R. L., Lpz. 1847; Boltz, Über die R. L., Berl. 1850.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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